Huglfing – Wer in Huglfing einen Termin beim Bürgermeister braucht, muss nicht lange warten – und schon gar nicht das Rathaus betreten. Denn Möglichkeiten, Bürgermeister Markus Huber (SPD/ Unabhängige) höchst persönlich zu treffen, gibt es reichlich. Zum Beispiel, wenn der 48-Jährige mal eben zum Bäcker huscht, um sich eine Breze zu holen. Schon auf halber Strecke hält ihn ein besorgter Huglfinger auf und eröffnet dem Rathauschef sein Anliegen: Schwierigkeiten bei der Dämmung seiner Scheune. Ohne zu zögern und ohne Breze kehrt Markus Huber mitsamt Dorfbewohner um, auf direktem Weg zurück ins Rathaus. „Da finden wir schon eine Lösung“, hört man ihn noch im vorbeigehen sagen, während er die Hand auf die Schulter des Mannes legt.
Helfen ist in Huglfing eine Selbstverständlichkeit. Das fängt bei Bürgermeistersprechstunden auf der Straße an und hört eigentlich nirgendwo auf. Wegen dieses Zusammenhalts ist das Dorf im Hungerbachtal preisgekrönt. Kürzlich ist Huglfing im bundesweiten Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ zu einem der lebenswertesten Dörfer Deutschlands gekürt worden.
Inmitten der Grasleitner Moorlandschaft mit Zugspitzblick ist Huglfing im Kreis Weilheim-Schongau schon geografisch gesehen ein Hingucker. Optisch setzen jahrhundertalte Tuffsteinhäuser dem Ort die Krone auf. Vor deren Fenster hängen liebevoll geschmückte Blumenkästen in allerlei Formen und Farben. Zahlreiche Schleichwege entlang des Hungerbachs verbinden die alten Bauernhäuser, die sich in Sichtachsen um die Kirche reihen. Gehwege gibt es in Huglfing keine.
Das Ortszentrum bildet der Rathausplatz. Kreisförmig liegen dort Rathaus, Kirche, Pfarrgebäude und Wirt beieinander. Zwischen den Gebäuden erstreckt sich eine Wiese. Zäune gibt es kaum, höchstens am Pfarrgarten, damit die freilaufenden Hühner nicht die Blumen für den Sonntagsgottesdienst anpicken.
Gegenüber macht sich Bernhard Knauer gerade mit Gieskanne auf seinen morgendlichen Weg zum Pfarrgarten. Seit knapp drei Jahrzehnten kümmert sich der 89-Jährige dort schon um die Blumen. „Mir hat keiner den Auftrag gegeben, den Garten zu pflegen. Ich hab’s einfach gemacht“, sagt er. Einfach machen, das ist die Devise in Huglfing.
Deutlich wird diese Lebenseinstellung aber erst im Neubau die Dorfstraße runter. In Eigenregie haben die Huglfinger hier ein Kinderparadies in Form eines Abenteuerspielplatzes geschaffen. Diskussionen um die Nutzung der eigentlich als Bauland ausgewiesenen Fläche gab es im Gemeinderat nicht. „Bei uns gibt es keine Parteipolitik. Wir reden vernünftig miteinander, weil wir das Beste für die Allgemeinheit wollen“, betont Jugendreferent David Prielmaier, der sich zum Bürgermeister auf einen Kieshaufen gesellt hat. In nur acht Wochen zimmerten die Dorfbewohner den Abenteuerspielplatz mit Schaukel und Klettergerüst, einem hölzernen Grillpavillon sowie einem gigantischen Spielturm mit Tunneln und Rutsche zusammen. „Es hat jeder mitgeholfen“, sagt David Prielmaier. Eingeweiht haben die Huglfinger Kinder ihren neuen Spielplatz bereits einen Tag nach dessen Fertigstellung.
„In Huglfing gibt es eben nichts, was es nicht gibt“, sagt Markus Huber verschmitzt. Vom gemeindeeigenen Schlachthaus an der Bibliothek über ein Seniorenzentrum in einem ehemaligen Bauernhof bis hin zum Kleingartenverein. Huglfing ist auf Gemeinschaft ausgerichtet.
Selbst der Bahnhof ist in Huglfing mehr als nur Mobilitätsdrehscheibe. Schon vor Jahren hat die Verwaltungsgemeinschaft das alte Gebäude am Dorfrand von der Bahn abgekauft und umgebaut. Seither sorgt das Bahnhofscafé für Reiseproviant, eine Ausstellung im anliegenden Stellwerk für kulturellen Austausch und der „Co-Working-Space“ im ersten Stock für einen Arbeitsplatz mit viel Gesprächspotenzial.
Für den neuesten Dorftratsch macht man sich aber lieber auf den Weg zur Wassertankstelle neben dem gemeindeeigenen Schlachthaus. Im Sommer treffen sich dort nahezu stündlich die Landwirte und diskutieren die neusten Ereignisse. „Da geht’s immer vogelwild zu“, sagt Markus Huber, der selbst gern mal auf einen Ratsch vorbeischaut. Bei schlechtem Wetter finden sich die Huglfinger beim „Alten Wirth“ ein und erzählen sich bei dem einen oder anderen Bier Geschichten von früher. Wie von der ehemaligen Schule, in der das Feuerwehrauto noch direkt neben den Klassenzimmern stand.
Gerne wird beim Stammtisch auch mal ein Neuankömmling unter die Fittiche genommen. „Man ist erst ein Huglfinger, wenn man einmal in den Bach gefallen ist“, erzählt Prielmaier lachend und deutet auf das gemütlich dahinfließende, knietiefe Gewässer. „Das passiert schnell, besonders in bestimmten Aggregatszuständen“, ergänzt Markus Huber und schmunzelt. Man munkelt, den beiden sei das schon einmal passiert.
Denn die Huglfinger feiern gerne, und das auch mal sehr ausgiebig. Da kann es durchaus passieren, dass das Garagentor oder die Haustüre bis zum nächsten Morgen sperrangelweit offen steht. Für die eingeschworene Dorfgemeinschaft aber nichts Ungewöhnliches, wo auch bei Tageslicht der Schlüssel im Zündschloss stecken bleibt.