Augsburg/Altötting – Andreas Roß hat sein Leben lang gearbeitet. Trotzdem wird ihm bald nichts anderes übrig bleiben als der Gang zum Sozialamt. Seine Frau lebt seit drei Jahren in einem Pflegeheim in Augsburg. Er wollte für sie ein Zimmer mit Gartenblick, sie soll es schön haben. Deshalb hat sie ein Doppelzimmer bekommen, das sie allein bewohnt. Pro Monat muss er 6194 Euro zuzahlen, die Pflegeversicherung übernimmt nur 1775 Euro. „Wir sind beide Rentner“, sagt der 71-Jährige. Doch seine Frau bekommt nicht viel, wegen einer Erkrankung musste sie nach 18 Jahren in Frührente gehen. Von seiner Rente finanziert er ihre Pflege. Für alles andere gehen Monat für Monat seine Ersparnisse drauf. „Ich habe bereits eine Zusatzversicherung aufgelöst, um die Pflege finanzieren zu können“, sagt er. Trotzdem reicht das Geld nicht mehr lange. Roß hat niemanden, mit dem er über diese Sorgen sprechen kann – außer andere Angehörige im Heim. Wie ihm geht es fast allen, das hat er schnell gemerkt. „Ein Drittel der Bewohner lebt von Sozialhilfe, weil die Pflege so teuer ist.“
Und sie wird noch teurer. Anfang Juli sind die Zuzahlungen für die Pflege im Heim regelrecht in die Höhe geschossen. In Bayern sind im Schnitt 2448 Euro pro Monat fällig – 266 Euro mehr als vor einem Jahr, wie eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen ergeben hat. In dieser Summe ist nur der Eigenanteil für Pflege und Betreuung enthalten, hinzu kommt allerdings noch ein Betrag für Unterkunft und Verpflegung. „Damit durchstoßen wir erstmals die 3000-Euro-Marke“, sagt Georg Sigl-Lehner. Er ist Heimleiter in Altötting – und muss gerade vielen Angehörigen erklären, warum die Zuzahlungen so stark steigen. „Das treibt alle um.“
Bundesweit liegt Bayern mit seinen Pflegekosten im Mittelfeld und leicht unter dem Bundesdurchschnitt von 2548 Euro im Monat. Gestiegen sind die Sätze überall – aber besonders in den Bundesländern, die vorher einen schlechten Pflegeschlüssel hatten und ihn wegen der neuen Personalbemessung anpassen mussten, erklärt Sigl-Lehner. Heimleiter wie er müssen in den Pflegesatz-Verhandlungen alle Kosten offenlegen, erklärt er. „Auf dieser Grundlage ergibt sich dann der Pflegesatz.“
Hinter dem Kostensprung stecken die gestiegenen Personal- und Sachkosten. Die Sachkosten sind durch die Inflation und die gestiegenen Energiepreise in die Höhe geschossen. Die Personalkosten durch die Lohnerhöhungen in der Pflege. „Wir alle waren uns einig, dass Pflegekräfte angemessen bezahlt werden müssen“, sagt der Heimleiter. Das bezahlen nun allerdings die Pflegebedürftigen und ihre Familien mit. Sigl-Lehner, der auch Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern ist, fordert, diese Lohnerhöhungen solidarisch auf alle umzulegen. Das würde bedeuten, dass die Beiträge der Pflegeversicherung steigen. Denn perspektivisch werden die Zuzahlungen für die Heime weiter steigen.
Auch trotz der Entlastungszuschläge, die vergangenes Jahr eingeführt wurden und Anfang 2024 erhöht werden sollen. Sie machen aktuell im ersten Heim-Jahr fünf Prozent, im zweiten 25 Prozent und im dritten 45 Prozent aus. Ab dem vierten Jahr steigen sie auf 70 Prozent. Sogar mit dem höchsten Zuschlag steigen die Zuzahlungen im Schnitt auf 1583 Euro pro Monat – das ist ein Plus von monatlich 126 Euro. Von den Zuschlägen profitieren jedoch nur wenige, berichtet Sigl-Lehner aus seiner Erfahrung. „Die Verweildauer im Heim ist inzwischen kurz, bei vielen unter einem Jahr.“
Wenn die Eigenmittel nicht reichen, springt der Bezirk ein. In Oberbayern erhalten aktuell 14 100 Menschen in der stationären Pflege Sozialhilfe. Das wird für 2023 voraussichtlich 183 Millionen Euro kosten. Im ambulanten Bereich werden 4260 Menschen unterstützt (147 Millionen Euro). Noch verzeichnet der Bezirk keinen Anstieg der Anträge – der dürfte verzögert eintreten, wenn das Vermögen der Pflegebedürftigen schneller aufgebraucht ist.
„Steigende Kosten in Heimen dürfen nicht allein auf die Bewohner zurückfallen“, sagt die VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie fordert eine solidarische Finanzierung durch den Umbau der Pflegeversicherung hin zu einer Vollversicherung, die alle Pflegekosten deckt. Investitionskosten der Heime müssen von den Ländern getragen werden, so Bentele. „Ein Pflegeplatz im Heim darf nicht arm machen, er muss für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wieder bezahlbar werden.“