Ruhstorf – Er war über viele Jahre Europas, Deutschlands und Bayerns wichtigster Agrar-Funktionär: der Niederbayer Gerd Sonnleitner. Über 20 Jahre hatte er an der Spitze des Bayerischen Bauernverbands gestanden, bevor er mit 64 Jahren in den Ruhestand ging. Elf Jahre ist das nun her und man kann mit Gewissheit sagen: Der Mann, der in München, Berlin, Brüssel und Doha für die Bauern gekämpft hat, hat das Feld komplett den Jüngeren überlassen. Er bestellt jetzt sein wunderbares Anwesen in Ruhstorf an der Rott. Am Sonntag wird Gerd Sonnleitner 75 Jahre alt.
Sonnengebräunt und bester Stimmung trifft man den Ruheständler auf seinem mehr als 500 Jahre alten Gehöft im Kreis Passau an. Im Innenhof sprudelt seit Jahrhunderten frisches Wasser aus eigener Quelle – die Sonnleitners haben Photovoltaik auf dem Dach ihrer Scheunen. In den letzten elf Jahren hat Gerd Sonnleitner rund um den Hof gewerkelt. Den Ackerbau betreibt ohnehin der Nachbar, schon seit Sonnleitner Bauernpräsident wurde. Scheunen wurden hergerichtet und vermietet. „Ich bin der Gärtner und Hausmeister“, sagt er lächelnd.
Der Gärtner hat einiges zu tun auf dem fünf Hektar großen Gelände. Diverse Baumaßnahmen wurden angepackt, Biotope angelegt. Zweieinhalb Kilometer Hecken hat er angepflanzt, durchsetzt von Rosen. In ihnen surrt und summt es, Vögel nisten dort. Die Hecken stutzt er selbst, mit seinem Minitraktor trimmt er die Rasenflächen, außerdem versorgt er die Bäume und Pflanzen. Von der Agrarpolitik hat er sich längst verabschiedet – ohne Wehmut. „Ich bilde mir immer ein, mir geht’s gut.“ Das ist Psychologie, verrät er – und die bessere Strategie, als sich das Gegenteil einzubilden. Man sieht ihm an, dass es ihm gut geht. Er dürfte gute Gene haben. Seine Mutter ist mit 98 Jahren noch immer aktiv, wenn auch mit Rollator. Dass sie in Bewegung bleibt, darauf achtet er. Ebenso wie auf seine sechs Enkelkinder.
Gerd Sonnleitner ist ein Frühaufsteher, setzt sich morgens um sechs Uhr mit einem Kaffee und der Zeitung auf seine Terrasse und verfolgt mit wachem Interesse, was sich politisch tut. Frühstück gibt es sonst nicht – da ist er streng mit sich selbst. Dann geht es zum Wässern der Pflanzen. Zu tun gibt es genug. Arbeit, die ihm aber Freude macht. „Andere spielen Golf“, murmelt er. Für ihn ist das nichts.
Umweltpolitik interessiert ihn sehr. Extensive Wiesen hat er angelegt, freut sich über jeden Schmetterling. Dass er als Bauernpräsident mehr für Umweltschutz hätte tun müssen, sieht er nicht. Ihn ärgert noch immer, dass die Städter, die doch das meiste CO2 produzierten, besser zu wissen glauben, wie man die Natur schützen soll. „Die Landwirte haben sich nichts vorzuwerfen“, sagt er. Und er sich auch nicht.
Die Umweltschützer, die während seiner Amtszeit nicht gerade zu seinen besten Spezln gehörten, dürften sich aber wundern, wenn sie ihn heute hören. Gerd Sonnleitner hat nicht nur Verständnis für die jungen Leute, die vehement für den Klimaschutz auf die Straße gehen (Klebeaktionen findet er allerdings daneben), er ist sogar für ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen. Der 74-Jährige wohnt nahe der österreichischen Grenze und genießt die Fahrten Richtung Wien: „Die haben seit Jahren Tempo 130. Das ist so angenehm zu fahren. Es geht dort sogar zügiger als bei uns.“ Innerorts plädiert er für Tempo 30.
Auch zur Steuerpolitik hört man überraschende Töne: Die Geringverdiener würde er von der Steuer befreien, den Besserverdienern oder Reichen mehr Einkommensteuer abverlangen. Sonnleitner wäre auch selber bereit, in schwierigen Zeiten mehr zu bezahlen. Er sieht hier die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung – doch das werde in der Politik nicht berücksichtigt. Bei der Debatte um das Elterngeld sagt er ganz klar: „Wer 150 000 Euro verdient, der braucht nicht noch mehr.“
Auf der anderen Seite versteht er nicht, dass der Mindestlohn nur um 41 Cent angehoben wurde. „Gewiss, das tut manchem Unternehmer weh. Aber wie sollen die Geringverdiener mit 12,41 Euro über die Runden kommen bei den Preissteigerungen?“ Sonnleitner sieht hier die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft. „Dass die klassischen Parteien da nicht mehr aufpassen“, bereitet ihm Sorge. Diese Frage und die Asylpolitik bescherten der AfD den Zulauf. „Wir können nicht alle, die unzufrieden sind auf der Welt, bei uns aufnehmen“, sagt Sonnleitner.
Wenn er heute noch Bauernpräsident wäre, würde er ganz oben auf die Agenda stellen, „wie wir mit der Globalisierung zurechtkommen“. Auch vor einer Zerfledderung Europas würde er warnen. Faire Verträge bei der WTO wären ihm wichtig. Da dürfe man nicht nur über Zölle sprechen, sondern müsse auch Umweltfragen und Kinderarbeit behandeln.
Und was hält er von Bundesagrarminister Cem Özdemir? „Ein netter Mensch“, sagt er. Als Bauernpräsident musste sich Sonnleitner mit Özdemirs Parteikollegin Renate Künast auseinandersetzen. Über sie würde er freilich anders urteilen. Trotzdem ist seine Haltung auch zu Özdemir kritisch. „Wie er es versteht, die Menschen einzuwickeln – aber im Grunde macht er nichts.“ Landwirtschaftsminister zu sein in Deutschland sei ein undankbarer Posten, räumt er ein. In der Politik könne man keine Punkte sammeln. Die Bauern seien unzufrieden, die Verbraucher auch.
Im Alltag beschäftigen Gerd Sonnleitner heute aber ganz andere Fragen. So hat er die über 500 Jahre alte St.-Nikolaus-Kapelle, die oberhalb seines Anwesens liegt, dem Bistum Passau abgekauft und kümmert sich nun um das kleine romanische Gotteshaus. Im nächsten Jahr braucht das Kircherl dringend ein neues Dach. Ein Projekt ganz nach Sonnleitners Geschmack. CLAUDIA MÖLLERS