Oberpfaffenhofen – Justin hat etwas geschafft, was bisher noch nie einem Roboter gelungen ist: Er hat Wissenschaftler für einen kurzen Moment sprachlos gemacht. Sogar Berthold Bäuml, der den humanoiden Roboter mit seiner Forschungsgruppe am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen entwickelt hatte, war verblüfft, als er vor Kurzem beobachtete, wie Justin mit einem Würfel in der Hand Aufgaben löste, die ihm zuvor niemand beigebracht hatte. Er weiß, wie er Gegenstände richtig greift – sogar, wenn er sie noch nicht kennt. Und er kann Dinge in der Hand in jede gewünschte Richtung drehen – ohne dabei hinzusehen. Menschen greifen intuitiv, für Roboter ist es aber extrem schwierig. „Justin hat geschickte Bewegungsstrategien gefunden, bei denen wir uns hinterher tagelang gefragt haben: Wie macht er das genau?“, berichtet Bäuml. So hatten die Forscher beispielsweise beobachtet, wie er schlau einen Finger unter den Würfel geschoben habe, um ihn wieder hochzuheben, sollte er langsam runterrutschen.
Die Auslegung, Justin habe ein Bewusstsein entwickelt, lehnt der Professor allerdings kategorisch ab. Viel mehr hat Justin dank Künstlicher Intelligenz (KI) gelernt zu denken. „Da sind Dinge, die nur der Roboter, weil er seinen Körper selber versteht, herausfinden konnte“, erklärt Bäuml. „Händisch hätten wir die nie programmieren können.“
Schon vor 15 Jahren machte Justin Schlagzeilen, weil er mit seinen vier Fingern Bälle fangen konnte. „Wir haben nun aber über KI einen Stand erreicht, der die Geschicklichkeit der Hände näher an die des Menschen heranrückt“, berichtet Bäuml. Diese Fingerfertigkeit hat sich Justin selbst erarbeitet – ähnlich wie ein Kind – durch Ausprobieren, erklärt der Wissenschafter. Justin hat Sensoren in seinen Roboterhänden. Damit „fühlt“ er Gegenstände. „Und er kommt auf Strategien, die für uns manchmal überraschend sind“, sagt Bäuml. So hat der Roboter ein Verständnis für 3D-Formen entwickelt. Er kann beliebige Objekte mit der Hand finden und seine Fingergelenke einstellen. Um das zu lernen, wurde der Roboter tagelang mit tausenden Beispielen für 50 000 Objekte gefüttert. Justin kann von einer sichtbaren Vorderseite auf die Form der Rückseite schließen und dafür die optimale Position seiner Hand finden. Und das alles innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Andere Unternehmen wie der ChatGPT-Konzern Open AI hatten die Forschung an der Hand aufgegeben. Dann präsentierte Justin kürzlich auf der Münchner Messe Automatica, was er konnte. Dieser Fall könnte Wellen schlagen. Es heißt, Apple beobachte die Höchstleistungen des Roboters mit Interesse.
In Oberpfaffenhofen arbeiten Bäuml und sein Team bereits an Justins weiteren Fähigkeiten. Die Roboterhände sollen eine Art Haut bekommen – damit sie noch realistischer aussehen und besser fühlen können. „Das wird definitiv viele neue Fähigkeiten im Bereich der Geschicklichkeit eröffnen“, prognostiziert Bäuml. Justin werde einmal so geschickt und feinfühlig sein, dass er eine Prise Salz so lange zwischen den Fingern reiben könne, bis nur noch ein Salzkorn übrig sei.
Davon könnte eines Tages auch die Pflege profitieren. Pilotprojekte gibt es bereits – auch mit Justins Roboterkollegen. Im Pflegeheim St. Vinzenz in Garmisch-Partenkirchen gab es schon vor einigen Jahren Testläufe. Ein computergesteuerter Arm hatte Bewohnern beim Spielen oder Türöffnen geholfen, der humanoide Roboter Pepper unterhielt die Bewohner per Touchscreen mit Quiz- und Denkspielen oder einfachen Bewegungsanimationen. Pflege werden Roboter nicht ersetzen können, sagte Heimleiter Matthias Größl nach dem Projekt. Aber sie könnten Pflegekräften und Bewohnern den Alltag erleichtern. Die Offenheit für die neue Technik war in St. Vinzenz jedenfalls groß. hvp/kwo/dpa