Himmler-Villa wird zum Hotel

von Redaktion

VON KATRIN WOITSCH

Gmund – Florian Zibert liebt die Abende an diesem besonderen Ort. Wenn die Sonne über dem Tegernsee untergeht, fallen die letzten Strahlen durch die Glastüren direkt auf Monique, die an der Bar Cocktails mixt. Die Terrasse ist voll mit jungen Menschen, als er ums Haus spaziert. Die meisten sind aus Gmund, auch ein paar Hotelgäste genießen die Abendsonne und kommen mit den Einheimischen ins Gespräch. Vor ein paar Monaten, als das Gelände eine riesige Baustelle war, hat Zibert von solchen Momenten geträumt. „Wir sind noch nicht angekommen“, sagt er. Wenn es nach ihm geht, soll das auch so bleiben. Neben dem Eingang steht auf einem Schild „almost there“ – fast da. Das ist mehr als ein Wegweiser, es ist das Konzept. Dieser Ort soll nicht fertig werden – sondern permanent offen für Neues bleiben.

Die Villa, die Florian Zibert Anfang des Jahres mit seinen Freunden Moritz und Max vom Freistaat gepachtet hat, besitzt eine 130 Jahre alte Geschichte. Sie war um die Jahrhundertwende Domizil von Künstlern und Kaufleuten. Sie war ein Diätkurhaus, eine Schönheitsfarm und Sitz eines Beratungsunternehmens. Aber sie war auch ein Ort, an dem Nationalsozialisten zusammenkamen. 1934 kaufte der SS-Reichsführer Heinrich Himmler das Gebäude und machte es zum Wohnsitz für seine Frau und Tochter.

Vor allem dieses düstere Kapitel in der Geschichte des Hauses ist im Tegernseer Tal bekannt. Die meisten Einheimischen kennen nur Erzählungen über das 20 000 Quadratmeter große Areal. Nun soll sich das ändern. Zibert und seine Freunde wollen daraus einen Ort der Begegnung machen – ein Hotel, ein Restaurant und eine Bar. Vor allem einen Treffpunkt für alle, die weltoffen und tolerant sind. Kann das funktionieren in einem Gebäude mit dieser Geschichte?

Über diese Frage haben die drei Männer lange nachgedacht. „Wir spüren die Verantwortung, die zu dieser Villa gehört“, sagt Zibert. Da ist zum Beispiel der Kamin, den Himmler einst hatte bauen lassen. Er befindet sich im großen Foyer, dort, wo die Gäste abends gemütlich zusammensitzen können. „Wir haben stundenlang diskutiert, wie wir mit dem Kamin umgehen“, erzählt der 52-Jährige. Ihre Entscheidung: so unaufgeregt wie möglich. Sie haben ihn mit der Wand verspachtelt, um ihm seine Wucht und Bedeutung zu nehmen. Zufrieden sind sie noch nicht mit der Lösung, er soll noch mehr in den Hintergrund rücken. Noch haben sie nicht entschieden, ob sie ihn im Winter nutzen wollen.

Das Haus hat viele Ecken, an denen die Vergangenheit ihren Weg in die Gegenwart findet. Oft sind es schöne Stellen. Als sie in einigen Hotelzimmern die alte Holzdecke freilegten, kamen schöne Deckengemälde zum Vorschein. Auch den 130 Jahre alten Holzboden restaurierten sie. Aber es gibt auf dem Gelände auch einen Luftschutzbunker aus der Himmler-Ära. Er wird nicht genutzt. Vielleicht ändert sich das irgendwann, sagt Zibert. Wenn die richtige Idee dafür gekommen ist.

Seit Januar haben sie viel Zeit und Arbeit in das Areal gesteckt – und viel Geld. Insgesamt 1,5 Millionen Euro kostet sie ihr Projekt. Sie finanzieren es mit Krediten und Ersparnissen. Seit wenigen Wochen sind Hotel und Restaurant geöffnet. „Schon am zweiten Wochenende waren wir ausgebucht“, erzählt Zibert. Einer der Gäste ist ein Mann aus Frankfurt. Er hat ein Hotel am Tegernsee gesucht – an was für einem besonderen Ort er hier gelandet ist, hat er erst nach und nach erfahren, erzählt er. Obwohl die drei Freunde auf ihrer Internetseite mit der Geschichte der Villa offen umgehen. „Ich habe mich gewundert, dass kein Fernseher im Zimmer ist“, erzählt der Frankfurter. Aber er habe schnell verstanden, wieso. „Das ist kein Ort, um fernzusehen. Wer hier ist, soll den Ort erleben.“ Die alten Bäume, die eigene kleine Quelle, die Natur, die hier überall ist. „Morgens wird man hier zugeballert mit Vogelgezwitscher“, sagt Florian Zibert und lacht.

Er hat noch jede Menge Ideen im Kopf, wie er die schönen Seiten dieses Ortes für die Gäste erlebbar machen will. Mit Yoga-Events, Imkerkursen oder Eisschwimmen. Die 29 Zimmer sind fast alle belegt, die günstigsten kosten 132 Euro, die teuersten 310 Euro. Die Gäste kommen von überall her. Sorgen, dass das NS-Kapitel in der Geschichte des Hauses die Falschen anlocken könnte, hat Zibert nicht. „Für die wollen wir ein unkomfortabler Ort sein.“ Es geht ihm und seinen Freunden nicht darum, den Ort von der Vergangenheit reinzuwaschen, betont er. „Wir wollen klar Haltung zeigen – zum Heute und zum Damals.“ Einige Gmunder haben bereits angeboten, bei der Aufarbeitung der Geschichte zu helfen. Aber wenn Florian Zibert sieht, wie die unterschiedlichsten Menschen hier zusammensitzen, ins Gespräch kommen, über die Natur staunen, hat er das Gefühl, dass sie bereits auf einem guten Weg sind. Dass im Leben der alten Villa ein neues Kapitel begonnen hat, in dem Weltoffenheit gelebt wird.

Früher hieß die Villa Lindenfycht. Davon ist nur das Y geblieben. Die drei Freunde haben den Ort Blyb getauft – „bleib“ ausgesprochen. Wer hier herkommt, soll bleiben wollen. Jeder der möchte darf den Ort mitprägen. Er soll ein Symbol sein dafür, dass sich alles wandeln kann. Manchmal sogar ins Gegenteil.

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