Lufthansa-Flieger heben ohne Koffer ab

von Redaktion

Mehrere Flüge sind betroffen – Münchner Familie muss ohne Medikamente auskommen

VON CARINA ZIMNIOK UND ARMIN GEIER

München – Elena Griesbach schildert unserer Redaktion am Montagvormittag gerade am Telefon ihre missliche Lage, da passiert etwas. Neben ihr segelt ein T-Shirt von der Wäscheleine. Das ist eigentlich nicht schlimm, aber die 43-jährige Münchnerin geht gerade sehr, sehr sparsam mit ihren Klamotten um. Sie sitzt seit Freitagabend im Hotel in Es Figueral, Ibiza, und wartet auf ihren Koffer. Die Lufthansa-Maschine LH1820 startete nämlich in München – ohne einen einzigen Koffer an Bord. „Und jetzt waschen wir hier täglich unsere Shirts und Unterhosen“, sagt sie.

Elena Griesbach ist mit ihrem Freund Alex (50) und dessen Sohn Thomas (Name geändert) unterwegs, eine Woche wollen sie auf der Insel verbringen. Der Flug war am Freitag, 15.20 Uhr, geplant. Elena Griesbach berichtet, dass sich der Abflug ein wenig verzögert hatte. „Aber alles im Rahmen, vielleicht 20 Minuten.“ Doch am Zielflughafen bleibt das Gepäckband still. Eine Mitarbeiterin des Flughafens informiert die Fluggäste, dass das Gepäck heute nicht mehr ankommen wird. Griesbach und die anderen Passagiere müssen Formulare ausfüllen, dann geht’s ins Hotel. „Dort haben wir drei Zahnbürsten bekommen, dann sind wir ins Bett“, sagt die 43-Jährige.

Mehrfach versucht sie am Wochenende, Informationen von Lufthansa zu bekommen. In der Zwischenzeit gehen die drei einkaufen, besorgen ein paar Klamotten. Doch das größte Problem ist: Der 13-jährige Thomas nimmt das verschreibungspflichtige Ritalin ein. „Aber die Medikamente sind im Koffer“, sagt Elena Griesbach. Vor Ort gebe es keine Chance, die Medizin zu besorgen.

Ihre Maschine ist nicht die einzige, die am Freitag ohne Koffer vom Flughafen München abhebt. Der österreichische Schauspieler Lucas Englander, bekannt zum Beispiel aus der Netflix-Serie „Transatlantic“, fliegt am Freitag mit dem Flug LH1682 nach Budapest. Dort nimmt er an Dreharbeiten teil. Auch er steht am Abend vor einem leeren Gepäckband, auch er berichtet, dass er oft, sehr oft bei der Hotline angerufen habe. Dort habe man ihn nur auf die Internetseite verwiesen, auf der steht, dass das Gepäck noch nicht angekommen ist. „Ich weiß überhaupt nicht, wen ich ansprechen kann“, sagt der 30-Jährige. Schon am Wochenende wird er weiterfliegen, er weiß noch nicht, wo sein nächster Einsatz ist. Also wird es auch schwierig, an sein Gepäck zu kommen. Die Produktionsfirma hat ihm Klamotten geliehen, die Dreharbeiten muss er ohne seine Unterlagen bewältigen – die sind nämlich im Koffer.

Die Sprecherin der Lufthansa in München, Bettina Rittberger, weist darauf hin, dass wichtige Sachen niemals in den Koffer gehören, sondern ins Handgepäck. Zu den konkreten Fällen äußerte sich die Lufthansa bis Redaktionsschluss nicht. Die Flughafen München Gesellschaft erklärt den kofferlosen Start mit Gewittern am Donnerstagabend, durch die es zu einem etwa einstündigen Abfertigungsstopp gekommen sei. Der wirkte sich noch auf den Flugplan vom Freitag aus. Wegen Personalengpässen bei den Abfertigungsgesellschaften und krankheitsbedingten Ausfällen durch die enorme Hitze konnten laut einem Sprecher am Freitag nicht alle Flüge zeitgerecht bedient werden.

Gepäck-Chaos gibt es derzeit auch regelmäßig am Münchner Flughafen bei der Ankunft. So mussten beispielsweise vergangenen Donnerstagvormittag hunderte Passagiere im Terminal 1 auf ihre Koffer warten. Über zwei Stunden bewegte sich dort keines der Laufbänder. Auch dafür ist Personalmangel der Grund.

Oft bleibt es nicht beim Ärger, es entstehen auch Kosten, etwa für Ersatzkleidung wie im Fall von Elena Griesbach. Laut Verbraucherzentrale muss die Airline auch Schäden ersetzen, die entstehen, wenn das Gepäck später ankommt. Allerdings muss der Fluggast den Schaden beweisen. Wichtig ist, dass eine Verspätung innerhalb von 21 Tagen bei der Fluggesellschaft oder beim Reiseveranstalter angezeigt wird. Für die Zeit, in der das Gepäck am Urlaubsort nicht zur Verfügung steht, können Passagiere den Reisepreis mindern (fünf bis 50 Prozent des Tagesreisepreises) und Ersatz kaufen, nötige Ausgaben werden erstattet. Allerdings ist der Betroffene verpflichtet, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Man dürfe, so die Verbraucherzentrale, einen einfachen Badeanzug, nicht aber mehrere oder teure Markenartikel kaufen. Ein teurer Bikini – das ist allerdings die letzte Sorge, die Elena Griesbach und ihre Begleiter gerade umtreibt.

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