München – Die Pflegerin im Krankenhaus beäugt den Sanitäter nachdenklich. Irgendwie erinnert er sie an jemanden. „Wissen Sie, dass Sie unserem Gesundheitsminister sehr ähnlich sehen?“, fragt sie. Klaus Holetschek lächelt – dann erklärt er, dass er an diesem Vormittag ein Praktikum beim Roten Kreuz macht. Der CSU-Politiker will den Alltag der Rettungskräfte aus nächster Nähe kennenlernen. Der Patient, den er gerade hier in der Klinik abholt, schaut nicht so genau hin, wer dabei hilft, ihn umzulagern. Er hat starke Schmerzen, ist gereizt. Trotzdem wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, das Bett wird für einen neuen Patienten gebraucht.
Der Mann ist schwer adipös, der Krankentransport in seine Wohnung bedeutet für die Einsatzkräfte auch körperlich eine Herausforderung. An diesem Tag haben sie zwei Hände mehr, die mitanpacken. Klaus Holetschek ist seit Schichtbeginn um 7.30 Uhr morgens an ihrer Seite. Nervös sei er nicht, sagt Holetschek und schmunzelt. Angespannt aber schon. Schließlich weiß er nicht, was ihn an diesem Tag erwartet. Für die Rettungssanitäter ist das Alltag. Mal haben sie einen Einsatz nach dem anderen, mal beginnt der Tag ruhig mit einem Kaffee. So wie heute. Für den Minister bedeutet das: viel Zeit, um Fragen zu stellen. Und um zuzuhören. Auch deswegen ist er hier.
Der Rettungsdienst gehört eigentlich nicht in sein Aufgabenfeld als Gesundheitsminister. Aber die Sanitäter sind oft das letzte Glied in der Kette der gesundheitlichen Versorgung, sie arbeiten eng mit Krankenhäusern, Seniorenheimen oder Hausärzten zusammen. Und für die wiederum ist Holetschek verantwortlich. Im Gesundheitsbereich hängt alles miteinander zusammen: Wenn es nicht genug Pflegekräfte gibt, gibt es auch nicht genug freie Betten in Heimen oder Krankenhäusern. Der Rettungsdienst ist ebenfalls am Limit, auch hier fehlen Notfallsanitäter. Viele machen zwar die Ausbildung, verlassen den Beruf dann aber wieder für ein Medizinstudium.
„Die Arbeitsbedingungen müssen besser werden, damit wir mehr Menschen für diese Berufe gewinnen“, sagt Klaus Holetschek am Vormittag – schon vor seinem ersten Einsatz. Als er kurz darauf hilft, den stark übergewichtigen Mann in seine Wohnung zu transportieren, merkt er aber, dass das System nicht nur an seine Grenzen gekommen ist, sondern vielleicht schon darüber hinaus. „Es ist absehbar, dass der Mann nicht lange zu Hause bleiben wird“, sagt er. Vorerst wird er nun von einem ambulanten Pflegedienst versorgt. Eigentlich bräuchte er ein Bett in einem Pflegeheim, doch er findet keins, das ihn aufnehmen kann. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Rettungsdienst ihn wieder in eine Klinik transportieren wird, weil sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hat. „Das bewegt mich sehr“, sagt er nach dem Einsatz. Er hat kein gutes Gefühl dabei, den Mann mit Schmerzen allein in der Wohnung zurückzulassen.
Wegen solcher Erfahrungen hat er sich diesen Platz in seinem Terminkalender freigeräumt. Die Idee dafür entstand während eines Gesprächs mit der BRK-Landesgeschäftsführerin Elke Frank. Sie ist überzeugt, dass Entscheidungsträger die Praxis erleben müssen, um Politik zu gestalten. Holetschek hat sofort zugesagt – und ist beeindruckt, als er beobachtet, wie die Sanitäter ihren oft schwierigen Alltag meistern. Sie berichten dem Minister, dass oft die 112 gewählt wird, obwohl es sich nicht um Notfälle handelt. Und dass sie statt Dankbarkeit oft einen rauen Ton zu hören bekommen. „Wir müssen mehr aufklären“, sagt Holetschek danach. Und wir müssen uns mehr anstrengen, um Fachkräfte zu gewinnen.“ Auch bei der Krankenhausreform müsse der Rettungsdienst viel mehr mitgedacht werden, sagt er auf dem Rückweg in die Wache. „Vieles ist im Alltag nicht so leicht, wie man sich das in Berlin vorstellt.“
Für Holetschek wird es nicht das letzte Praktikum sein. Nächstes Woche wird er einen Vormittag lang in einem Pflegeheim in Memmingen mitanpacken. Und er ahnt, dass er dort ähnliche Probleme erleben wird. Kurz bevor der Minister an diesem Tag aus dem Rettungswagen steigt und sein BRK-Outfit wieder gegen sein Jackett tauscht, hört er über Funk mit, dass die Sanitäter direkt zum nächsten Termin müssen. Ein Kind ist von einem Klettergerüst gestürzt, mehr wissen sie noch nicht. Es könnte ein noch härterer Einsatz werden, als der, den sie gerade hinter sich haben.