Die Frau der 1000 Briefe

von Redaktion

Sabine Welzel hat Freunde auf der ganzen Welt – allen schreibt sie mit der Hand

VON JULIAN LIMMER

Vilshofen – Im Briefkasten von Sabine Welzel in Niederbayern vernetzt sich die Welt. Briefumschläge, Postkarten und Kuverts aus allen Kontinenten, aus Ländern wie Südafrika, Japan, den USA oder Neuseeland, landen regelmäßig bei ihr in Vilshofen. Jeder Gang zum Briefkasten ist ein kleines Abenteuer: Wer schreibt heute wieder, was bewegt Menschen tausende Kilometer weit entfernt? „In so einen kleinen Kasten passt ganz schön viel Welt rein“, sagt sie.

Steuerberaterin Sabine Welzel (43) pflegt rund 100 Brieffreundschaften mit Menschen aus allen Teilen der Erde. Seit sie klein war, fasziniert sie das Schreiben von Briefen. Heute am Tag des handgeschriebenen Briefes erzählt sie, wieso sie auch in Zeiten von Handy und Internet an dem jahrhundertealten Kulturgut festhält – wieso sie Füller und Blatt einer E-Mail oder WhatsApp vorzieht.

Das Schreiben von Briefen und Karten hat in Sabine Welzels Familie lange Tradition. Schon ihre Mutter pflegte Brieffreundschaften, lernte ihren Vater darüber kennen. Vor vielen Jahren suchte ihre Mutter mithilfe einer Annonce in einer Wochenzeitung nach neuen Brieffreundschaften. Daraufhin meldete sich ein Briefträger aus Heilbronn bei der Frau in Niederbayern, ein Klaus-Dieter Welzel. Die beiden begannen, sich zu schreiben. Und schnell stellten sie fest: „Es passte einfach wie die Faust aufs Auge mit uns“, sagt Klaus-Dieter Welzel (73) heute. Aus den Briefen wurde Liebe, aus der Liebe wurde eine Ehe. Sie bekamen Sabine Welzel: „Ich bin sozusagen nicht mit dem Storch, sondern mit dem Briefträger gekommen“, sagt sie lachend.

Schon ganz früh als Kind habe sie miterlebt, wie sehr sich ihre Mutter jedes Mal freute, wenn sie auf dem Weg zum Briefkasten war und mit welcher Leidenschaft sie schrieb. „Ich wollte das auch, ich wollte endlich eigene Briefe für mich haben“, sagt Sabine Welzel. Mit den Briefen brachte sie sich das Schreiben bei: „Darüber habe ich quasi das ABC gelernt.“ Es folgten schnell die ersten Brieffreundschaften. „Eine der allerersten Bekanntschaften hält bereits seit 35 Jahren.“ Welzel hat die Frau, die mittlerweile in Hamburg lebt, zwar nur zwei Mal in echt getroffen, doch die beiden kennen sich in- und auswendig. „Manche Brieffreundinnen kennen mich sogar besser als ich mich selbst.“ Man tausche sehr private und intime Dinge aus. Über die Jahre kamen immer mehr Freundschaften hinzu. „Egal, wo ich auf der Welt bin, die nächste Freundin ist nicht weit“, sagt sie. Egal, ob in Niederbayern, Asien, Amerika oder Afrika. Sie tauschen sich über alles Mögliche aus. Mit einer Freundin aus Japan schreibt sie sogar übers Sumoringen.

Welzel schreibt in verschiedenen Sprachen: auf Deutsch, Französisch und Schwedisch. Knapp 1000 Briefe im Jahr. Manchmal sind die Briefe nur eine, manchmal über zwölf Seiten lang. Aber was macht für sie den Reiz am Handgeschriebenen aus? „Man nimmt sich Zeit für jemand anderen, man lässt sich voll auf diese Person ein“, sagt sie. So entstehe eine tiefe Verbindung. Anhand der Handschrift könne sie sogar oft erkennen, wie es ihrer Freundin gerade gehe. Bei der modernen Kommunikation übers Handy gehe das nur schwer – alles sei viel zu schnell, vieles oft oberflächlich: „Da bleibt einiges auf der Strecke“, sagt sie. Sie schickt lieber weiterhin Briefe in die ganze weite Welt.

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