Ein filmreifer Almabtrieb

von Redaktion

VON MATTHIAS BIEBER

Mittenwald – Beppi Hornsteiner ist gelernter Metzger, doch vor 30 Jahren wollte er „mal was anderes machen“. Und so wurde er Schafhirte – vom Almauftrieb im Mai bis zum Abtrieb im September heißt das sieben Tage in der Woche unterwegs in den Bergen. Beppis Beziehung zu den rund 400 Tieren: voller Respekt. Er weiß, dass ohne die Bergschafe die Kulturlandschaft im Karwendel so nicht existieren würde. Und ohne die Zucht – schon seit 5000 Jahren ist sie für die Region belegt – stürbe auch ein Stück Kultur und Tradition.

Die Tiere hüpfen vor Freude, wenn es aus den Ställen im Frühjahr ins Freie geht. „Wenn du ein halbes Jahr eingesperrt bist, dann magst du auch raus. Das ist bei den Tieren nicht anders“, sagt Beppi. 45 Schafhalter gibt’s in der Region – mit zwei bis zu 80 Tieren pro Halter.

Erst werden die Viecher ins Schafstadel der Genossenschaft gebracht, wo sie registriert, mit Glocken und Wapperln versehen werden und eine Schluckimpfung gegen Würmer bekommen. Das alles verlangt Muskeln; nicht jedes Schaf hält ruhig. Fürs Registrieren ist Thomas Frank zuständig, der Alpmeister, der ein bisserl über die EU-Vorschriften ächzt. Er erklärt uns: „Nach dem Krieg hatten die Leute viele Schafe. Sie waren leicht zu halten und gaben Fleisch, Milch und Wolle. Die Leute waren nicht reich.“

Ist jedes Schaf registriert, werden sie auf die Vorweide ins Kranzberggebiet getrieben. Etliche Helfer begleiten sie, die Polizei sperrt mit Blaulicht eine Staatsstraße ab. Um 4.30 Uhr wurde die Logistik besprochen. Wenn es losgeht, ist kaum ein Autofahrer unterwegs.

Jeder vertraut Beppi seine Viecherl an und hofft, dass er alle gesund im Herbst zurückbringt. Es drohen: Blitze, Gewitter, Felsstürze, Adler, und auch verstärkt Wölfe und Bären machen das harte Leben im Karwendel nicht einfacher. „Ohne Hund“, sagt Beppi, „brauchst du gar nicht anfangen.“ Der heißt Luna und ist „ein echter Kamerad“, sagt Beppi und krault Lunas Fell.

Geht es endlich auf die Hauptweide, sind die älteren Tiere nervös vor Vorfreude – sie wissen, dass saftige Wiesen ohne Ende locken. Am Ziel warten rund 3000 Hektar Gelände in 1500 bis 2200 Metern Höhe. Wenn sich Schafe versteigen – es sind schließlich Herdentiere, da kommen schnell ein paar Versprengte zusammen –, werden vor allem die Jungen gerufen, die in teils riskanten und gefährlichen Manövern die Viecher wieder einfangen.

Abends werden mobile Zäune aufgestellt und morgens wieder abgebaut, zudem werden die Tiere im Laufe eines Sommers häufiger umgetrieben von Alm zu Alm. Für all dies braucht Beppi helfende Hände, und die gibt es. Die Schafe fördern die Gemeinschaft, tragen zur intakten Dorfgemeinschaft bei.

Im September, wenn es neblig wird und der erste Schnee nicht mehr weit ist, müssen die Tiere aus dem Paradies zurück. Das braucht mehr Überzeugungskraft als beim Weg auf die Alm. Dutzende Karwendler helfen, widerspenstige Schafe ins Tal zu bringen – doch zuerst geht es zum Stadel, schließlich müssen die Tiere wieder an ihre Züchter ausgegeben werden. Eine langwierige Prozedur. Dann ist der Abschied vom Almsommer endgültig gekommen. Wie auch für Beppi. Es war 2021, als der Film gedreht wurde, seine letzte Saison. „Ist so“, lächelt er mit Tränen im Blick. „Man muss vorwärts schauen, jetzt ist die Jugend dran. Ich hatte Massel, dass ich es so lange gemacht habe.“

Der Film zum Almabtrieb

Die eindrucksvolle Dokumentation „Schafstage“ startet am 19. Oktober in ausgewählten Kinos. Regie: Klaus-Peter Hütt, Produzent: Walter Steffen.

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