München – Der europäische Strommarkt ist eine sehr logische Angelegenheit: Das günstigste Kraftwerk, das benötigt wird, um den Strombedarf eines Netzbereichs für eine Stunde zu decken, bestimmt den Preis.
„In Deutschland passt der Großhandel für Strom aber nicht zu den physischen Gegebenheiten“, erklärt Andreas Löschel. Der Ökonom leitet seit über zehn Jahren die Expertenkommission „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung. „Stromangebot und Nachfrage fallen räumlich und zeitlich auseinander.“
Gemeint ist: Erneuerbare Energien sind unschlagbar günstig, aber nicht überall und nicht immer verfügbar. Verbrauchen die Menschen aber Strom, wenn und wo nicht genug Erneuerbare zur Verfügung stehen, müssen konventionelle Kraftwerke einspringen – und die sind teuer. Das Problem: Norddeutschland erzeugt mehr Energie, als es verbrauchen kann. In Süddeutschland gibt es, unter anderem weil praktisch keine Windräder gebaut wurden, zu wenig Strom für die Industrie. Weil es zu wenig Stromtrassen für den Ausgleich gibt, wird zumeist teure Wasserkraft aus den Alpen zugekauft oder ein Gaskraftwerk hochgefahren.
Und bis dato gibt es für die Südländer kaum Anreize, das zu ändern: Weil es in Deutschland einen einheitlichen Preis gibt, kostet Strom in München dasselbe wie in Hamburg. Die Nordländer zahlen sogar mehr, weil sie durch den Anschluss der vielen Windräder höhere Netzentgelte haben. Das frustriert die Windkraft-Länder, die eine Aufteilung Deutschlands in verschiedene Strompreiszonen fordern.
Das könnte schneller passieren, als vielen lieb ist: „“Die EU-Regulierungsbehörden haben Deutschland wegen seiner Netzengpässe genau im Blick“, erklärt Bernd Weber vom Beratungshaus Epico, der auch das Bundeswirtschaftsministerium berät.
Denn: „Durch das Erzeugungsgefälle haben wir in Deutschland einen sehr ineffizienten Strommarkt. Außerdem wird wegen unseren Engpässen oft Strom über unsere Nachbarländer vom Norden in den Süden geleitet – das verursacht im Ausland aber Kosten.“ Aus diesen Gründen überprüfen die Netzbetreiber gerade die Gebotszonen. „Der Bericht wird für das Frühjahr 2024 erwartet. Dann haben die betroffenen Länder sechs Monate Zeit zu entscheiden, ob sie Strompreiszonen einführen oder beim Einheitspreis bleiben.“
Doch die Entscheidung muss einstimmig sein, „und das ist unwahrscheinlich“, sagt Weber. „Sollte es zu keiner Einigung kommen, würde die EU-Kommission entscheiden. Und bisher könnte sie mit guten Argumenten – rein aus Regulierungssicht – Deutschland in Strompreiszonen teilen.“ Die Folgen wären deutlich höhere Strompreise in Süddeutschland. Der Gedanke: Realistische Marktpreise sollen zu mehr Ausbau und einem effizienteren, also flexiblen Verbrauch führen.
Denn auch mit Blick auf die Energiewende ist der Einheitspreis problematisch: „Wenn in Norddeutschland viel Wind weht, sinkt der Einheitspreis. Das ist für einen Elektrolyseur in Bayern das Zeichen, Wasserstoff zu produzieren. Aber der Windstrom kommt ja physisch gar nicht in Bayern an“, so Andreas Löschel. In der Logik des Einheitspreises muss wieder teurer konventioneller Strom gekauft werden, der Markt versagt also. „In verschiedenen Strompreiszonen würde dieser Elektrolyseur aber in Norddeutschland stehen und ausschließlich mit Windstrom laufen“, so Löschel.
Dass die Firmen das einkalkulieren, zeige sich an den aktuellen Neuansiedlungen in Nord- und Ostdeutschland: „Wir wissen aus Umfragen, dass Firmen die Verfügbarkeit von Energie und besonders von grünem Strom im Norden deutlich besser bewerten. Und natürlich werden auch mögliche Strompreiszonen bei Investitionsentscheidungen mitgedacht“, so Weber.
Dass der Bau der Stromtrassen von Nord nach Süd unter anderem durch die bayerische Staatsregierung unter Horst Seehofer um viele Jahre zurückgeworfen wurde, verschärfe das Problem: „Mit jeder Verzögerung beim Netzausbau steigt der Druck auf die EU-Kommission, unterschiedliche Strompreiszonen einzuführen“, so Weber.
Um das zu verhindern müsse Deutschland jetzt zulegen: „Wir brauchen nicht nur den Übertragungsnetzausbau, sondern auch mehr grüne Energie in Süddeutschland. Es könnte auch sein, dass wir unsere Nachbarländer für die Nutzung ihrer Netze entschädigen müssen.“ Außerdem gibt es neben der örtlichen die zeitliche Komponente: „Wenn wir unseren Verbrauch – gerade im Norden und Süden – an die Erzeugung anpassen und die richtigen Investitionssignale schaffen, sinkt der Bedarf an Importen und konventioneller Energie. Das ließe sich über variable Netzentgelte gut anreizen.“