„Das Olympia-Gold war ein Türöffner“

von Redaktion

ZUM 60. GEBURTSTAG Markus Wasmeier über seinen Triumph, seine Wurzeln und sein Leben

Schliersee – Markus Wasmeier war kurz vor dem Gesprächstermin noch als Dachdecker im Einsatz. Das Hagelunwetter hat auch sein Haus in Schliersee in Mitleidenschaft gezogen. Zum Interview in seinem Freilichtmuseum bei Schliersee kam er eilig herbeigeradelt. Locker, unkompliziert und hemdsärmelig, wie der Wasi einst auch zum Publikumsliebling geworden ist. Zu seinem 60. Geburtstag am heutigen Samstag sprachen wir mit ihm über das Leben als Gold-Wasi, die Leidenschaft fürs Handwerk und darüber, warum selbst bei einer schweren Krebserkrankung der Humor eine Stütze sein kann.

Herr Wasmeier, am 17. Februar 1994 gewannen Sie in Lillehammer sensationell Gold im Super G. Wir sehr hat dieser Tag Ihr Leben verändert?

Persönlich hat mich das Gold hoffentlich nicht verändert. Das hätten meine Familie und meine Freunde gar nicht zugelassen. Aber natürlich sind mir Dinge mit den beiden Gold-Medaillen ermöglich worden, die ich sonst nie hätte erreichen können. Auch mein Freilichtmuseum hätte es ohne diese Medaillen nie gegeben. Das Olympia-Gold war schon ein Türöffner für viele Projekte, die ich anpacken konnte.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, was aus Ihrem Leben geworden wäre ohne Lillehammer-Gold.

Dann wäre ich halt Handwerker geworden. Aber das wäre auch mehr als okay. Das Handwerk ist für mich eine Leidenschaft. Nicht umsonst habe ich mit 14 Jahren eine Lehre als Maler und Lackierer gemacht. Das hat mir schon immer gefallen, etwas zu schaffen, das man auch anschauen kann.

Sie wurden aber zum Gold-Wasi – wie sind Sie denn mit dieser Rolle zurechtgekommen?

Das war leicht für mich. Denn ich habe mich immer so gegeben, wie ich bin. Mein Manager Robert Schwan hat mich so gelassen, wie ich bin. Andere Manager wollten mich immer umdrehen und umwandeln, so wie das zum Beispiel beim Box-Weltmeister Henry Maske war, den man zum Gentleman mit Anzug und entsprechendem Auftreten gemacht hat. Das hätte ich keine paar Wochen geschafft, weil das einfach nicht mein Naturell ist.

Einer Ihrer ersten Gratulanten in Lillehammer war ihr Vater, der Sie stürmisch umarmt hat …

Ja, das war für mich vielleicht der emotionalste Moment im Sport. Meine Eltern sind mit mir alle Höhen und Tiefen mitgegangen. Ohne mich zu drängen, haben sie mir die Freude am Sport vermittelt. Als Leistungssportler kamen dann die Verletzungen, die Niederlagen – da haben meine Eltern wirklich gelitten. Aber sie haben nie den Glauben an mich verloren. Und ich habe versucht, immer weiter zu kämpfen, egal wie schlecht es gelaufen ist. Dann kam in Lillehammer die Bestätigung dafür, dass es richtig war, nie aufzugeben. Die Umarmung meines Vaters nach dem Super G bei Olympia war mir mehr wert als die Goldmedaille selbst.

Im ZDF-Sportstudio wurde mal bei einem bairisch-gefärbten Interview mit Ihnen eingeblendet: „O-Ton Süd.“

(Grinst.) Als ich dann beim Fernsehen gearbeitet habe, bin ich etwas humaner geworden in dieser Hinsicht, hab ein bisschen anders gesprochen.

Mit strengen Kleiderordnungen haben Sie sich ja nicht anfreunden können.

Wenn es hieß: Smoking oder Anzug, dann habe ich immer die Tracht angezogen. Nicht die Tagestracht, sondern die Festtagstracht. So wie die historische Tracht bei uns um 1800 war. Man darf dabei auch nicht vergessen: Noch in den 1980er-Jahren war in München die Tracht total verpönt. Da haben sie dich ausgelacht, als ob du aus dem Wald kommen würdest. Und da dachte ich: Ich zieh die Tracht grad mit Fleiß an. Da war ich dann der Paradiesvogel unter den ganzen grauen Anzügen. Für mich war dieses Gewand einfach die Möglichkeit, meine Heimat zu repräsentieren.

Heimat ist ja ein Lieblingsthema von Ihnen. Sie haben den Heimatbegriff in Ihrem Buch „Dahoam – zwischen Schliersee und Tokio“ weit gespannt.

Es gibt ja die Begriffe: Heimat und Dahoam. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Heimat gibt es ja auch in der Mehrzahl: Heimaten. Meine Heimat kann meine Familie sein, meine Skifamilie, aber auch ein anderes Land, in dem ich mich wohlfühle. Ich reise liebend gerne in ferne Länder. Heimat hat keinen festen Ortsbezug. Das Dahoam schon, das ist dort, wo ich herkomme, wo ich meine Wurzeln geschlagen habe.

Zum Dahoam gehört auch Ihre Liebe zur Volksmusik. Sie haben ja Zither und Schoßgeige gelernt.

Ja, aber das Musikspielen geht nur noch stark eingeschränkt. Bei einem Sturz mit den Skiern auf den Schultern habe ich mir an der scharfen Skikante den Unterarm aufgeschlitzt. Nerven, Sehnen, Arterie waren durchgetrennt. Das hat ausgeschaut wie ein klassischer Selbstmörderschnitt, und ich dachte zunächst, das ist lebensgefährlich. Aber die Arterie hat sich dann aufgerollt wie ein Löwenzahnstängel, wenn man ihn ins Wasser gibt. Das hat mich gerettet. Die Folgen spüre ich aber bis heute noch, und es tut mir schon leid, dass ich nicht mehr so viel Musik machen kann. Ich spüre mit den Fingern die Saiten nicht mehr.

2007 eröffneten Sie in Schliersee ein Museumsdorf. Was war Ihre Motivation?

Bis zu meinem 31. Lebensjahr war ich als Skirennfahrer ständig unterwegs. Als ich meine Karriere beendete und in meine Heimat zurückgekommen bin, habe ich sie mit ganz anderen Augen angeschaut. Und dann hat es mir leidgetan, dass Bauernhäuser aus dem 16., 17. Jahrhundert einfach verfallen. Da dachte ich mir: Das darf doch nicht sein, dass das alles auf immer und ewig verschwindet. So ist die Idee entstanden: Ich wollte die Häuser und damit auch ein Stück Heimat retten. Gleichzeitig machte es mir Spaß, als Handwerker selbst mit anzupacken. Ich habe ja schon als Elfjähriger mitgeholfen, das historische Haus meiner Eltern anderswo zu zerlegen und dann auf unserem Grundstück wieder aufzubauen. Auch wenn meine Mutter damals meinte: „Ein teures Brennholz haben wir da gekauft.“

Inzwischen haben Sie 97 Mitarbeiter, im Jahr vor Corona kamen 95 000 Besucher – das klingt nach Vollzeit-Job.

Definitiv. Und wenn man alte Häuser transferiert, dann bist du Architekt, Bauarbeiter, Forscher – immer in vorderster Front. Man fängt als Erster zu arbeiten an und geht als Letzter. Zugleich muss man das alles leiten, organisieren. Und man braucht dabei Geduld. Die Transferierung eines großen Bauernhofs dauert zwischen drei und sieben Jahren.

Ihre Frau Gitti erkrankte 2012 lebensbedrohlich an Krebs. Nach hartem Kampf ist es gut ausgegangen. Sie haben einmal gesagt, rückblickend habe diese Erkrankung für Ihre Familie vor allem eine positive Bedeutung gewonnen.

Wir sind da miteinander durch dick und dünn gegangen. Man erleidet durch solch eine Krebsdiagnose ja einen Schicksalsschlag, da bricht eine Welt zusammen. Aber es durfte nicht für uns beide die Welt gleichzeitig zusammenbrechen. Das hilft einem ja überhaupt nicht weiter. Also war ich zu diesem Zeitpunkt fast schon wieder auf Sport-Modus eingestellt. Ich habe die Gefühle weggeschoben, war klar im Kopf, ich war immer am Überlegen: Was machen wir jetzt am besten? Was sagt der Arzt? Wie bringe ich es unseren drei Söhnen Markus, Lukas und Kilian bei, sodass sie nicht zusammenbrechen? Es ging ja um Leben und Tod. Aber es war die ganze Zeit ein sehr enges Vertrauensverhältnis da, und das hat uns alle zusammengeschweißt. Das merkt man auch elf Jahre später noch: Man weiß jeden Tag als geschenkten Tag zu schätzen. Ich muss auch sagen: Uns hat der Humor weitergeholfen. Auch wenn es sich seltsam anhört: Wir haben in dieser schweren Zeit viel gelacht. Damit ist es für uns alle etwas leichter geworden, hat uns nicht so erdrückt.

Einer Ihrer Nachbarn in Schliersee ist ein ganz besonderer Humorspezialist: Gerhard Polt. Wie erleben Sie ihn privat?

Er ist ein Sensationsmann. Es ist immer eine Bereicherung, ein Geschenk im Leben, wenn du mit ihm Abende verbringst oder mal ein kurzes Gespräch hast. Da möchte ich keine Sekunde missen. Er ist ja auch ein extremer Philosoph, der sieben Sprachen beherrscht und das Leben ganz anders filtert. Und er hat die großartige Gabe, Menschen zu beobachten und das dann überspitzt in sein Programm aufzunehmen. Der hat die Typen ja nicht erfunden, die sind aus der Nachbarschaft.

Zurück zum Skifahren. Die Klimaprognosen sind ja mehr als besorgniserregend. Sehen Sie da für den Wintersport überhaupt noch eine Zukunft?

Die Klimaveränderung lässt sich sicher nicht mehr abstreiten. Man hat ja schon vor zwanzig Jahren gesagt, man sollte am besten Weihnachten verlegen, weil die Winter immer später anfangen. Ich würde jetzt aber nicht gleich sagen, dass es in den nächsten 20, 30 Jahren keinen Wintersport mehr gibt. Doch es wird sicher schwieriger werden. Was mich an der ganzen Diskussion ärgert, ist, dass man als Erstes immer auf den Kleinen, wie den Liftbesitzern, rumhackt. Dabei müsste man den größten Umweltsündern, wie zum Beispiel den Ölraffinerien, eine auf den Deckel geben. Aber da traut sich keiner. Da reg ich mich immer auf.

Zum 60. Geburtstag hat man natürlich einen Wunsch frei. Was wäre der Ihre?

Auch wenn es abgedroschen klingt: Gesundheit. Dass du lange machen kannst, was dir Freude macht.

Das Interview führte: Armin Gibis

Artikel 2 von 11