München/Sünching – Die Medaille aus Bronze ist nur vier Zentimeter groß. Aber es ist ein einzigartiges Stück, sagt der Historiker Claudius Stein (45). Er hat es kürzlich gefunden – und dürfte damit unter Fachleuten für Aufsehen sorgen.
Bei der Medaille handelt es sich um ein Abzeichen der Illuminaten, jenes Geheimordens, in dem sich von 1776 bis zum Verbot acht Jahre später bayerische Philosophen, Adlige und Gelehrte versammelten. Illuminaten – eingefleischten Fans des Thriller-Autors Dan Brown dämmert was: In den Schmökern des Bestsellerautors sind die Illuminaten wieder zum Leben erwacht und morden, was das Zeug hält. Auch Claudius Stein gruselt’s da – aber nicht wegen der Bücher, sondern wegen der Legenden, die da über die Illuminaten gestrickt werden. In Wahrheit war „dieser Bund von Aufklärern eine eher gemütliche Angelegenheit“, sagt er. Namentlich bekannt sind gut tausend Mitglieder, darunter der Pädagoge Pestalozzi, der Dichter Wieland und sogar Goethe. Sie diskutierten über die Aufklärung, über moderne Literatur und lästerten über die bigotte katholische Kirche jener Zeit. Alles war jedoch strikt geheim, weswegen sich um die Illuminaten zahlreiche Mythen ranken.
Claudius Stein bemüht sich, über Max Joseph Clemens von Seinsheim (1751–1803) nüchterne Fakten zu recherchieren. Seinsheim war eifriges Mitglied des Geheimbunds. Der (seit 1787) Besitzer von Schloss Sünching im Landkreis Regensburg schmiedete eine Art Netzwerk aufklärerischer Geister in Bayern. So war er ein guter Freund von Graf Montgelas, der später – unter Bayerns erstem König Maximilian I. – den bayerischen Staat umfassend modernisierte. Montgelas gab auch den Anstoß zur Enteignung zahlreicher bayerischer Kirchen und Klöster. Doch eigentlich, sagt Claudius Stein, hat Seinsheim die Säkularisierung bis zu seinem frühen Tod im Herbst 1803 maßgeblich vorangetrieben.
Seit Jahren geht Stein im Schloss Sünching, einem wuchtigen achteckigem Bau, ein und aus. Es ist für Historiker eine wahre Fundgrube – Manuskripte, Bücher und Gemälde von oben bis unten. „Das Schloss ist unheimlich voll“, sagt Stein, der eigentlich als Archivar am Universitätsarchiv München arbeitet. Eigentlich galt sein Interesse dem Briefwechsel, den Seinsheim mit dem jungen Musikgenie Mozart pflegte. „Sie sind sich öfters begegnet, Seinsheim war ein großer Fan“, sagt Stein. Doch dann kam diese Geschichte: Das Haus der bayerischen Geschichte, das 2025 eine große Ausstellung über König Ludwig I. plant, fragte im Schloss nach, ob es vielleicht noch ein Porzellanservice gibt, das König Ludwig I. einst dem Sohn von Seinsheim geschenkt hatte – als Dank, weil dieser ihn einst während einer Krankheit gepflegt hatte.
Stein machte sich mit Erlaubnis der Familie auf die Suche. In einem Zimmer, das neben opulenten Bücherschränken Manuskripte, eine Ritterrüstung und sogar eine mittelalterlich anmutende Kanone beherbergt, stöberte er schließlich eine Schachtel auf. Sie enthielt eine Sammlung mit Orden und Abzeichen – darunter die seltene Medaille.
„Wenn man nicht weiß, was es ist, erkennt man es nicht“, sagt Stein. Dazu muss man wissen, dass die Illuminaten sich oft gegenseitig nicht kannten und Medaillen als Erkennungszeichen benutzten – „wie ein Ausweis“, sagt Stein. Auf dem vergoldeten Bronzeguss ist eine Eule abgebildet, Symbol der Weisheit. Sie sitzt an einem offenen Buch – wissbegierig, wie es die Illuminaten eben waren. Die meisten Medaillen, die heute noch vorhanden sind, sind „plumpe Nachahmungen“, sagt der Historiker. Die im Schloss gefundene jedoch ist ein Original – nach Angaben des Archivars bisher das einzige, das am Ursprungsort aufbewahrt wurde und zu dem man also den Besitzer – eben Max Joseph Clemens von Seinsheim – kennt.
Claudius Stein wird nun im Schloss weiterforschen. Fast jedes zweite Wochenende ist er dort. Er hat auch an einem Schlossführer mitgeschrieben. Vergangene Woche hat er jetzt das Porzellanservice von Ludwig I. gefunden – in einem Schrank, unter einem Stapel wertlosen Gebrauchgeschirrs. Weitere überraschende Funde seien in dem Schloss nicht ausgeschlossen, sagt der 45-Jährige. „Das ist so spannend, das lässt einen nicht mehr los.“ DIRK WALTER