München – Der Journalist Martin Both aus Hemhof im Chiemgau beschäftigt sich seit Jahren mit der bunten esoterischen Szene in seiner Heimat Oberbayern. Nun hat der studierte Philosoph und Historiker ein Buch über bayerische Kraftorte geschrieben. Bei der Recherche war er zunächst skeptisch. Doch viele Orte haben ihn dann doch in ihren Bann gezogen. Im Gespräch verrät er, warum es rund um den Chiemsee besonders viele solcher kraftvollen Flecken gibt.
Was ist in Ihren Augen ein Kraftort?
In erster Linie ein Ort in der Natur, aber mit Geschichte und Geschichten. Mir ist aufgefallen, dass sämtliche Tourismusverbände Kraftorte anbieten, nicht nur für esoterische Klientel. Der Landschaftsfotograf Helmut Weiß und ich haben uns einen Spaß daraus gemacht und uns die Orte näher angeschaut. Wenn man ein bisschen gräbt, in den Archiven wühlt, in Geschichtsvereinen nachfragt, kommt man tatsächlich auf fesselnde Geschichten. Wer sich darauf einlässt, entdeckt mit der Zeit immer mehr. Zum Beispiel eine uralte Tropfsteinhöhle im Altmühltal, in der auch eine Druidenschule gewesen sein soll. Das ist zwar historisch nicht haltbar – aber als Geschichte trotzdem super.
Rund um den Chiemsee häufen sich die Orte. Woran liegt’s?
Da wohne ich! (lacht) Ein Sektenbeauftragter der katholischen Kirche hat mal zu mir gesagt: Zwischen Inn und Salzach hat man das Gefühl, die Aufklärung ist vorübergegangen. Hier ist wirklich ein gesegneter Landstrich für exotische Weltanschauungen! Ähnlich wie um Murnau, auch da geht es ziemlich wild zu.
Wo liegt Ihr persönlicher Kraftort?
Zwischen Eggstätt und Hemhof, ganz in der Nähe unseres Hauses. Ein traumhaft schönes Naturschutzgebiet, in dem man wunderbar allein sein kann.
Sie bezeichnen sich als Skeptiker. Was passiert mit Ihnen an diesen besonderen Orten?
Ich habe mit Esoterik nicht viel zu tun, da gehöre ich nicht so richtig rein. Diese Plätze sind aber trotzdem spannend. Nicht weil ich da besondere Energien spüre oder weil ich mich an ein weltweit umspannendes Kraftnetz andocken kann. Es sind die Geschichten, die die Orte erzählen: über uns, über die bayerische Geschichte, wo wir herkommen und vielleicht auch ein bisschen, wo wir hingehen.
Haben diese Orte denn tatsächlich eine Wirkung – auch wenn man nicht esoterisch ist?
Es ist doch immer schön, an besonderen Plätzen zu sein. Die Orte haben alle ihren Reiz. Sie sind nicht ganz so überlaufen, es sind eher stillere Regionen, abseits von den großen Routen. Natürlich gibt es Ausnahmen wie den Zugspitzgipfel. Dort oben Eis schlecken und Cappuccino schlürfen, das erinnert eher nicht an Kraftort. Aber auch das erzählt von der Widersprüchlichkeit unserer Gesellschaft: Man ist in hochalpinem Gelände, schaut hinunter auf die schmelzenden Gletscher und ist nicht bereit, auch nur einen Fingerbreit abzurücken von seinem Konsumverhalten. Sehr spannend!
Die meisten Kraftorte sind aber einsam?
Genau. Sie fallen überhaupt nicht auf. Östlich von Ingolstadt fährt man zum Beispiel eine kleine Kreisstraße entlang. Links ist ein grüner Wassertümpel, eine Karstquelle. Hier drückt es das Wasser aus dem Boden heraus. Ein völlig unscheinbarer Ort, man würde ihn nie finden. Seit Jahrhunderten hat man dort aber das Nibelungenlied verortet. Auf der anderen Seite gibt es einen uralten Steinbruch aus Kalksteinplatten – mit Fossilien, die es in Europa nirgends sonst zu sehen gibt.
Die Werbung für Kraftorte treibt manchmal groteske Blüten…
Im Kurpark von Bernau, also auf einem Grundstück der Gemeinde, hat eine private Initiative einen Lehrpfad für Wünschelroutengänger aufgebaut. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn in den Achtzigern hat die TU München die Geomantie untersucht, es muss offenbar besonders feinfühlige Menschen mit hohen Trefferquoten geben. Eine US-Studie hat das statistische Datenmaterial aber ausgewertet und ist nur auf eine Zufälligkeit gekommen.
Wer soll Ihr Buch denn lesen?
Menschen, die sich gerne draußen bewegen. Die mit offenen Augen auf Landschaften schauen und auf das, was aus den Landschaften geworden ist. Die etwas lernen und darüber nachdenken wollen, wie Orte ihre Bedeutung verliehen bekommen haben, teils ging das über Jahrtausende. Zum Beispiel das Waberla in Franken: Auf dem Berg hat man gesiedelt, Kriege geführt, etwas aufgebaut, eine Kirche draufgesetzt. Was ich schade finde: Man bedient sich in der Esoterik immer eines relativ unscharfen Vokabulars. Da geht es um die Heisenbergsche Unschärfe bis zur Quantenmechanik. Das Vokabular wird diesen Plätzen leider nicht gerecht. Kraftorten kann man sich auch auf andere Weise und mit anderen Worten nähern – und zum Beispiel über die Historie nachdenken.
Vielleicht hat jeder seinen eigenen Kraftort?
Genau. Und in dem Buch kann man ein paar neue kennenlernen. Oder alte von einer neuen Seite. Wer beispielsweise auf die Zugspitze will, soll das zu Fuß machen. Das ist sehr lehrreich: eineinhalb Tage durch Geröllfelder wandern und dann tritt man am Gipfel ein in diese seltsame Erlebnislandschaft aus Stahlbeton. Meine Lieblingstour geht erst zum Schachenhaus, ein weiterer Kraftort aus dem Buch. Dann weiter zur Reintalangerhütte und nach einer Übernachtung folgt am nächsten Tag der Aufstieg zur Zugspitze. Die Tour ist anspruchsvoll, man sollte schwindelfrei sein, aber sie ist spektakulär. Und manchmal ist der Weg zum Kraftort schon das Ziel.
Interview: Tina Schneider-Rading