Vorsichtig zupft der 79-Jährige Unkraut aus der Schale, in der der etwa 50 Zentimeter hohe Baum steckt. „Das gehört hier nicht hin“, murmelt er. Seit 45 Jahren widmet sich der gebürtige Österreicher der Bonsai-Zucht. 350 Bäumchen beherbergt Pall in seinem 1300 Quadratmeter großen Garten in Attenham (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen). Mit seinen Kunstwerken verfolgt der Attenhamer vor allem ein Ziel: „Dass die Leute dastehen und sagen: Wahnsinn, was die Natur alles kann. Dabei habe ich es erschaffen.“
In jedem Bonsai stecken unzählige Arbeitsstunden: Zuerst einmal muss Pall die Pflanzen beschaffen. Manche hat er selbst ausgegraben, andere gekauft oder getauscht. Im Anschluss stehen fünf Stunden „Grundarbeit“ an, wie etwa das Drahten. Nicht selten arbeitet Pall über Jahrzehnte an einem Baum. „Da kommen locker um die 100 Stunden Arbeit zusammen.“ Recht selten verkauft der 79-Jährige etwas aus seiner Sammlung. „Nur, wenn ich zum Beispiel keinen Platz mehr habe.“
Der gebürtige Tiroler bezeichnet sich selbst als Einsiedler. Umso aktiver ist er in den Sozialen Medien unterwegs, etwa auf Instagram oder Facebook. Dort zeigt Pall seine Kunstwerke. „Nicht selten bekomme ich für ein Bild 3000 Likes“, erzählt er stolz. Immer wieder reisen Menschen aus der ganzen Welt nach Attenham, um die kleinen Kunstwerke in der Realität zu bestaunen. „Erst gestern kamen Besucher aus Australien.“
Der 79-Jährige ist kein gelernter Gärtner. Ursprünglich arbeitete der studierte Betriebswirtschaftler als Unternehmensberater. Im Ruhestand ist er nun jeden Tag acht Stunden im Garten. „Jetzt bin ich richtig glücklich. Das ist doch schließlich alles, was zählt.“ Seine Ehefrau teilt zwar nicht die Leidenschaft ihres Mannes. „Aber sie kennt mich seit 65 Jahren und akzeptiert mich, wie ich bin.“ Seit 35 Jahren können sie nicht gemeinsam in den Urlaub fahren. „Irgendjemand muss sich daheim um die Pflanzen kümmern.“ FRANZISKA KONRAD