Nach Unglück: Anklage gegen Lokführer

von Redaktion

VON DIRK WALTER UND ANDREAS THIEME

Schäftlarn – Vorsätzliche Gefährdung des Bahnverkehrs, eine fahrlässige Tötung und 51 Fälle der fahrlässigen Körperverletzung – im nüchternen Paragrafendeutsch wird die S-Bahn-Katastrophe wohl demnächst vor dem Münchner Amtsgericht verhandelt. Angeklagt ist ein damals 54-jähriger Lokführer aus dem Raum Fürstenfeldbruck, der bei dem Unglück selbst schwer verletzt wurde. Der Mann, durch ein Quereinsteiger-Programm zur Bahn gelangt, soll nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft München I mehrere Kontrollmechanismen der Bahn ausgeschaltet und so das Unglück verursacht haben – warum, das weiß wohl nur er selber.

Am 14. Februar vergangenen Jahres saß der Mann kurz vor halb fünf Uhr nachmittags im Führerstand einer S7, die in Wolfratshausen gestartet war. Schon bei der Anfahrt auf den Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn soll er sich laut Staatsanwaltschaft vorschriftswidrig verhalten und die Höchstgeschwindigkeit überschritten haben. Der Zug wurde daher automatisch gebremst. „Über diese Zwangsbremsung setzte sich der Angeschuldigte pflichtwidrig hinweg und fuhr in den Bahnhof ein“, erklärt Staatsanwältin Juliane Grotz. Das wäre noch kein größeres Problem gewesen. Doch bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof fuhr er erneut an einem Halt-Signal vorbei. Und: Als sein Zug wiederum zwangsgebremst wurde, setzte er sich darüber hinweg, fuhr erneut an und beschleunigte den Zug bis auf 67 km/h. Er hätte im letzten Fall aber einen sogenannte schriftlichen Befehl des Fahrdienstleiters abwarten müssen. Insgesamt also mindestens drei gravierende Regelverstöße.

Auf der eingleisigen Strecke kurz nach Ebenhausen-Schäftlarn stand eine S-Bahn, die in der Gegenrichtung nach Wolfratshausen unterwegs war. Sie hatte wegen einer Bahnübergangsstörung Verspätung. Eigentlich hätten die S-Bahnen schon in Icking aneinander vorbeifahren sollen.

Als der nun angeklagte Lokführer die stehende S-Bahn sah, leitete er noch eine Schnellbremsung ein. Jedoch zu spät, mit gemessenen 57 km/h krachte die S-Bahn in den stehenden Zug. Bei all dem gab es auch Glück im Unglück. Denn der damals 21-jährige Lokführer im Gegenzug war ebenfalls zwangsgebremst worden, daher stand seine S-Bahn. Wären beide S-Bahnen bei voller Fahrt zusammengestoßen, wäre die Opferzahl wohl noch höher gewesen. Der 21-Jährige überlebte in der völlig zerquetschten Fahrerkabine damals nur mit viel Glück, er wurde schwer verletzt, mit ihm 49 Fahrgäste. Die Strecke der S7 war damals wochenlang gesperrt. Der Schaden wird auf sieben Millionen Euro geschätzt.

Angesichts der Schwere des Unglücks wäre auch eine Anklage vor dem Landgericht denkbar gewesen. Dazu teilt die Staatsanwältin jedoch mit: Die Staatsanwaltschaft „hat trotz der ganz erheblichen Folgen der Tat Anklage zum Amtsgericht München – Schöffengericht erhoben, da die Straferwartung aus Sicht der Staatsanwaltschaft vier Jahre nicht übersteigt.“ Und weiter: Dabei sei „berücksichtigt, dass dem Beschuldigten hinsichtlich des Todes des Fahrgastes und der Verletzung der weiteren Personen nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist“ und er keine Vorstrafen habe.

Nach dem Unglück war kurz die Diskussion über Gefahr auf eingleisigen Bahnstrecken aufgeflammt. Verbesserungen an der Strecke gab es seitdem jedoch nicht.

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