Bairisch stirbt nicht aus

von Redaktion

Sprach-Unikat Anthony Rowley widerspricht in seinem neuen Buch der These vom Dialekt-Niedergang im Freistaat

München – Anthony Rowley ist als Unikat weithin bekannt. Der Engländer ist Germanist und leitete bis 2019 an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die Redaktion des Bayerischen Wörterbuchs – jenes enzyklopädischen Riesen-Werks, das in der Nachfolge des Wörterbuchs von Johann Andreas Schmeller neu und umfassender entsteht und, so sagen ketzerische Stimmen, wahrscheinlich nie fertig werden wird.

Nun hat Rowley die Ergebnisse seiner Forschungen in einem Buch publiziert. „Boarisch. Boirisch. Bairisch“ ist eine Sprachgeschichte und zeigt, wie sich der Dialekt in Bayern im Laufe der letzten 1500 Jahre wandelte. Das Buch entstand als Destillat vergangener Vorlesungen und atmet über weite Strecken strenge Wissenschaftlichkeit. Es spürt den Außengrenzen des Bairischen schon zur Zeit der Langobarden nach, thematisiert den Dialekt in mittelalterlichen Urkunden und Rechtsbüchern und klopft Bairisch auf seine Beziehungen zu Nachbarsprachen ab. So viel wird doch deutlich: Rowley stellt klar, dass Bairisch ein Dialekt ist und nicht etwa eine eigene Sprache – wie er überhaupt gegen Übertreibungen ist und beispielsweise nicht zu jenen gehört, die Bairisch kurz vor dem Aussterben wähnen. Der Sprachforscher ist da im Gegenteil relativ gelassen und weist darauf hin, dass das baldige Aussterben der Dialekte schon in den 1880er-Jahren prognostiziert worden ist. Was bekanntlich dann doch nicht eintrat.

Rowley sieht es mit Verweis auf (allerdings etwas ältere) Umfragen relativ gelassen. 2010 behaupteten 85,7 Prozent der Bayern, sie könnten einen deutschen Dialekt sprechen. Auch beim tatsächlichen Sprachgebrauch gebe es eine hohe Beharrungskraft. „Ich persönlich bin (…) nicht überzeugt, dass sich gegenwärtig bayernweit ein dramatischer Rückgang des Dialektsprechens vollzieht“, schreibt er. Eine Ausnahme sei München, wo es keinen Sprachwandel, sondern einen Sprachwechsel gebe – „eine Sprache, die sich wandelt, lebt. Eine Sprache allerdings, die ausgewechselt wird, stirbt aus.“

In der Diskussion bei der Buchvorstellung in der Akademie der Wissenschaft schlug er auch Maßnahmen vor, um den Dialekt zu stärken – zum Beispiel Ortsnamens-Schilder auch auf Bairisch. Minga neben München, Augschburrg neben Augsburg, warum nicht?

Auch amtliche Verlautbarungen im Dialekt sind für Rowley denkbar. Allerdings: Ohne eine Normierung durch die Schule werde geschriebenes Bairisch nie vereinheitlicht werden. Die Folge: „Dann müsste ein Schulfach her; in Schleswig-Holstein hatten im Schuljahr 2021/2022 36 Grundschulen und zehn Sekundarschulen Niederdeutsch als Unterrichtsfach“, schreibt Rowley. Das sei aber wohl ebenso wie die Ortsschilder „Zukunftsmusik“. DIRK WALTER

Anthony R. Rowley

Boarisch. Boirisch. Bairisch. Eine Sprachgeschichte, Verlag Friedrich Pustet, 29,95 Euro

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