KOLUMNE

VON SUSANNE BREIT-KESSLER Vergessen

von Redaktion

#Bademantelchallenge. Das klingt merkwürdig. So wie nasse T-Shirts am Körper oder Pyjama-Partys. Verwunderlich kam es mir vor, als ausgerechnet ich dazu gebeten wurde. Sämtliche potenzielle Missverständnisse haben sich aber in Nullkommanix in Luft aufgelöst. #Bademantelchallenge ist eine bundesweite Aktion der Deutschen Demenzhilfe. Sie fördert die breite Forschung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Die Challenge besteht darin, dass Männer und Frauen, prominente, solche, die von anderen nominiert werden oder die einfach mitmachen wollen, sich mit Bademänteln an öffentlichen Plätzen sehen lassen. Die ungewohnte und auffällige Bekleidung erinnert an demenzkranke Menschen. Manchmal, wenn sie nicht mehr wissen, wohin, irren sie orientierungslos durch die Gegend – im Bademantel eben, in Hausschuhen oder im Nachthemd.

Der öffentlich getragene Bademantel macht darauf aufmerksam, dass in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen mit Alzheimer oder einer anderen Form der Demenz leben. Meistens sind es fünf bis sechs weitere Personen, die sich um einen Erkrankten sorgen: Ehe- und Lebenspartner, Kinder, Enkel, Pflegekräfte. Fast elf Millionen Menschen sind es in Deutschland, die mit Demenz mittel- und unmittelbar zu tun haben. Sie leisten Großartiges, sind aber auch extrem belastet.

Demenz macht Angst. Keiner mag in eine Zukunft schauen, in der er oder sie der geistigen Kräfte beraubt und völlig auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Niemand stellt sich vor, dass die liebsten Menschen in die Krankheit des Vergessens geraten. Aber je höher die Lebenserwartung steigt, desto höher ist – jedenfalls bislang – das Risiko einer Demenzerkrankung im Alter. Wir können vor der Krankheit nicht die Augen verschließen – auch dann nicht, wenn die eigene Familie noch nicht betroffen ist.

Ein Tabu erregt umso größere Furcht, je mehr man es verschweigt oder ignoriert. Verdrängen bringt gar nichts. Darum ist Hinschauen gefragt und der Wille, gemeinsam die Herausforderung der Krankheit anzunehmen. Mitleid braucht es nicht, sondern Einfühlungsvermögen und einen Haufen Energie, um für frühzeitige Diagnose, bessere Versorgung und neue Therapieansätze zu sorgen. Die Bademantel-Challenge ermuntert zu Solidarität und wirbt um Spenden für dringend notwendige Forschung.

Dieser Krankheit könnte man irgendwann Einhalt gebieten und sie behandeln. Das wäre ein Segen – für die kranken Menschen mit ihren Angehörigen und die Pflegenden, die allesamt jeden Einsatz wert sind. Ich selber bin topfit und dankbar dafür. Gerade deswegen bin ich bei der Bademantel-Challenge dabei. Nichts tun war noch nie eine Alternative. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie mich demnächst im Bademantel an den Mülltonnen oder der Bushaltestelle treffen.

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