Als Bayern Diktatur wurde

von Redaktion

Vor 100 Jahren: das Generalstaatskommissariat des Gustav von Kahr

München – Der Herbst 1923 war für die Zeitgenossen wahrlich kein Spaß. Ruhrbesetzung durch die Franzosen, Hyperinflation, und das Oktoberfest fiel wegen der Inflation auch noch aus. Am 26. September 1923 dann das: Der bayerische Ministerrat unter Ministerpräsident Eugen von Knilling ernennt den Regierungspräsidenten Gustav von Kahr zum Generalstaatskommissar für Bayern mit umfassenden exekutiven Vollmachten – Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit waren auf einen Schlag außer Kraft gesetzt, Auf Anordnung konnten Beschlagnahmungen und Hausdurchsuchungen erfolgen, auch das Brief-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis wurden aufgehoben.

Wie andere Zeitungen auch sprach die konservative „Münchener Zeitung“ sogleich von einer „Diktatur“, meinte das aber durchaus positiv. Dies sei, orakelte das Blatt, angesichts der „offenkundigen Notstände in Politik und Wirtschaft“ der „wohl einzige Ausweg aus einer ungemein schwierigen Lage“.

Das Generalstaatskommissariat war einerseits eine Reaktion auf den Abbruch des Widerstands gegen die Ruhrbesatzung durch die Reichsregierung von Reichskanzler Stresemann, der sich dazu angesichts der ungeheuren (die Inflation immer weiter verschärfenden) Kosten entschlossen hatte. Andererseits gab von Knilling auch dem Drängen von rechts außen nach – unzählige Rechtsverbände, darunter auch der Deutsche Kampfbund und die NSDAP, drängten auf einen Putschversuch, um so die verhasste Reichsregierung in Berlin zu stürzen.

Ob es von Kahr primär darum ging, diese Radikalinskis in Schach zu halten, oder ob er selbst ein Einschreiten „gegen Berlin“ erwog, darüber gehen bis heute die Meinungen der Historiker auseinander. Von Kahr war so unter Druck, dass er schon am 26. September 14 Versammlungen verbot, die Hitlers NSDAP am 27. September in München abhalten wollte. Landespolizei, begleitet von Soldaten, überklebten daraufhin die riesigen roten NSDAP-Plakate mit den Ankündigungen.

Von Kahr erntete scharfen Protest – nicht nur von den Nationalsozialisten selbst, sondern auch von „vaterländischen“ Verbänden, die es als Affront ansahen, dass Kahr als Erstes gegen rechts einschritt – und nicht, wie sie erhofft hatten, gegen links. Daraufhin erlahmte sein Interesse an weiteren Maßnahmen gegen die Rechtsextremen in Bayern sehr schnell. Stattdessen griff von Kahr bald rücksichtslos gegen lange in München ansässige Juden aus Osteuropa durch. Bis zu 400 Männer, Frauen und Kinder in München, Nürnberg und Bayreuth erhielten mit fadenscheinigen Begründungen einen Ausreisebefehl. So hieß es zu Salomon S., der mit Altgold und Säcken gehandelt hatte, seine Anwesenheit sei „im wirtschaftlichen Leben nicht notwendig“. Das Vergehen eines anderen Ausgewiesenen bestand darin, dass er auf seinem Ladenschild seinen Vornamen weggelassen hatte. Widerspruch auch von Anwälten war zumeist zwecklos. Auch gegen „Schieber“ wollte von Kahr vorgehen. In dem Entwurf einer Verordnung, die dann aber nicht verabschiedet wurde, sah er die Verhängung der Todesstrafe „für besonders schwere Fälle der Volksausbeutung“ vor.

Von Kahr gelang es aber nicht, Hitler und die Seinen dadurch zu besänftigen, denn die wollten weit mehr. „Ausweisung der Juden …, nicht blos der Ausländer; Stellung unter Fremdengesetz“, hielt ein Polizeiprotokoll schon 1920 über eine Hitler-Rede fest. So war das Generalstaatskommissariat nur eine Zwischenstufe in der fortschreitenden politischen Radikalisierung, die am 8./9. November 1923 in den Hitlerputsch mündete. Nach dessen Niederschlagung zog der legitime Ministerpräsident von Knilling die Regierungsgeschäfte wieder an sich. Formell endete das Generalstaatskommissariat freilich erst am 17. Februar 1924. DIRK WALTER

Androhung der Todesstrafe „für besonders schwere Fälle der Volksausbeutung“

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