Berchtesgaden – In den Bunker der neu eröffneten Dokumentation Obersalzberg geht Ministerpräsident Markus Söder Seite an Seite mit Charlotte Knobloch. Die 90-Jährige hängt sich bei ihm ein. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sagt: „Das großartige Panorama Berchtesgadens vereint schiere Schönheit, ist aber auch Symbol der Grausamkeit.“
Der Andrang bei der Dokumentation Obersalzberg ist riesig. Etliche Bürgermeister, der Landrat, Ludwig Spaenle ist als Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung gekommen. „Der Freistaat Bayern nimmt die Verantwortung an“, sagt Charlotte Knobloch bei der Eröffnung. Dieser Schritt erfordere „Verantwortung, Empathie und eine emotionale Öffnung.“
Mehr als 30 Millionen Euro hat der Freistaat investiert, erst nach etlichen Verzögerungen und Kostensteigerungen konnte die Dokumentation, die eigentlich ein Museum über den Obersalzberg als Hitlers zweiten Regierungssitz ist, eröffnet werden. „Das muss uns so ein Ort einfach wert sein“, sagt Söder beim Besuch. Der Leiter der Dokumentation, Sven Keller, führt den Tross im Schnelldurchgang. Söder hat nur wenig Zeit. In Jugendjahren hatte er überlegt, Geschichte zu studieren. „Brotlose Kunst“, sagte der Vater. Er ließ es bleiben. „Was da passiert ist, ist so unglaublich schwer verständlich“, sagt er zu Hitlers mörderischen Entscheidungen vom Obersalzberg aus, von wo er Europa mit Krieg überzog. Er wischt mit den Fingern über Hitler-Bilder auf einem Medientisch, später steht er vor einer 3D-Darstellung des ehemaligen Führersperrgebietes und wirft den Blick auf eine militärische Kriegskarte – ein Faksimile. „Es ist wahrscheinlich, dass Hitler schon davor stand“, informiert Sven Keller.
Schon vor Jahren hatte das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin zur Suche nach Originalexponaten für den Neubau aufgerufen: Hitler-Zierkissen, Kinder-Gasbett, Fotoalbum – viele Bürger lieferten Einzelstücke aus Kellern und Speichern.
Das Leitmotiv der neuen Ausstellung lautet „Idyll und Verbrechen“. Sven Keller sagt dazu: „Im Zentrum steht der Gegensatz zwischen der idyllischen Bergregion und den Tatorten der von hier aus betriebenen Mordpolitik.“ Beim Bau der mehr als sechs Kilometer langen Bunkeranlagen kamen tausende Zwangsarbeiter zum Einsatz. Einige hundert Meter Bunker sind nun zu besichtigen.
In der neuen Ausstellung werden viele Einzelschicksale behandelt: In Freilassing, Bad Reichenhall und Salzburg ließ Hitler Juden sowie Sinti und Roma verfolgen. Sie werden anhand von Bildern, Texten und Exponaten sichtbar. Die Lebensläufe wurden oft über Jahre recherchiert.
Die Ausstellungsgestalter arbeiten zudem die Zeit nach Hitler auf: Jahrzehntelang wurde Andenkenkitsch verkauft. Berchtesgadens Umgang mit der eigenen Geschichte galt lange Zeit als fragwürdig. Die Haltung schwankte zwischen Vermarktung und Verdrängung. Ob Spazierstock mit Berghof-Motiv, Postkartensammlung oder Klickfernseher mit NS-Gebäuden – selbst in den 1970er-Jahren war das keine Seltenheit. Bestandteil der Ausstellung ist auch eine lebensgroße Madonna aus dem „Göring Train“. Sie war in einem Eisenbahnwaggon gefunden worden. Hitlers Komplize Hermann Göring wollte so seine Kunstsammlung in Sicherheit bringen. Nun steht sie als Leihgabe auf dem Obersalzberg – geschützt von dickem Sicherheitsglas.
Die Dokumentation
Obersalzberg ist täglich geöffnet von 9 bis 17 Uhr.