Erich Mühsam (1878–1934) führte ein schillerndes Leben. Der Bohemien, als Anarchist Wortführer in der Münchner Revolution 1918/19, pflegte schon in der prüden Kaiserzeit vor 1914 einen freizügigen, rastlosen Lebensstil.
Aufgewachsen in Lübeck, dort „wegen sozialdemokratischer Umtriebe“ von der Schule verwiesen, zog es ihn nach Berlin, danach nach Zürich, Italien, Wien – und 1907 Paris. Die fiebernde Stadt mit ihren Künstlerkneipen und zahllosen Ateliers muss den Schriftsteller fasziniert haben. Rasch gewann er Zugang zu Künstlerkreisen im Umfeld von Pablo Picasso. Dort traf er den damals 25-jährigen französischen Künstler Auguste Herbin, der den Wuschelkopf eindrucksvoll porträtierte.
Für den Kunsthistoriker Peter Kropmanns besticht das Bild „durch die treffend wiedergegebenen Züge Mühsams“, wie er im im Jahrbuch der Berliner Museen (2022) schreibt. „Dabei hat der Maler keineswegs ein naturalistisches Abbild geschaffen, sondern seinen bis dahin in Auseinandersetzung mit Prinzipien des Neo-Impressionismus und Fauvismus entwickelten, recht eigenen Stil eingesetzt.“ Das Bild ist so wichtig, dass es die vor zwei Jahren eröffnete Neue Nationalgalerie in Berlin – vergleichbar der Münchner Neuen Pinakothek – als Leihgabe sogleich als repräsentativ in die Ausstellung „Die Kunst der Gesellschaft 1900-1945“ holte. Dort hing es bis letzten Sonntag, wie Kropmanns nun in der Berliner „taz“ berichtet. Jetzt wurde es abgehängt und ging zurück an eine private Pariser Galerie.
Der Grund: Die Nationalgalerie scheut den Kauf, da sich die Herkunft – die Wissenschaftler sprechen von Provenienz – nicht lückenlos nachweisen lässt. Kurioserweise konnte der Künstler Herbin das Bild wohl längere Zeit nicht verkaufen. Während Mühsam die Revolution in München vorantrieb, fünf Jahre in der bayerischen Haftanstalt Niederschönenfeld verbrachte und nach einer neuerlichen Inhaftierung 1933 schließlich ein Jahr später im KZ ermordet wurde, blieb das Bild wohl in irgendeinem Depot. Niemand interessierte sich dafür. Nur 1930 gab es einen Veräußerungsversuch, der aber wohl scheiterte, wie Kropmanns recherchiert hat. Das hing damit zusammen, dass niemand wusste, wer denn da eigentlich porträtiert worden war. Mal war von „Erick Muhsam“ die Rede, mal von „Kurt Muhsam (Kurt war Mühsams zweiter Vorname).
Erst 1958 tauchte das Mühsam-Portät wieder auf, als Leihgabe einer Pariser Galerie in einer Ausstellung. „Trotz intensiv betriebener Recherchen ist vorerst nicht klar, wo sich das Gemälde zwischen 1930 und 1958 befand“, schreibt Kropmanns. Und genau das ist ein Problem: Offenbar fürchtet die Nationalgalerie, das Bild könnte zwischenzeitlich einem jüdischen Kunstliebhamer gehört haben und dann enteignet worden sein. Hohe Entschädigungsforderungen wären dann möglich. So ist das Bild jetzt an den Eigentümer, die Pariser Galerie, zurückgegeben worden. Und landet wohl wieder im Depot. Schade eigentlich. DIRK WALTER