„Der Judenhass wird immer stärker“

von Redaktion

INTERVIEW Charlotte Knobloch über den Terror in Israel und die Angst um ihr Volk

München – Charlotte Knobloch, geboren 1932 in München, musste miterleben, wie ihre Großmutter von den Nazis deportiert wurde, sie selbst entkam den Nazi-Schergen nur dank der Hausangestellten ihres Onkels, die sie auf einem Bauernhof versteckte. In diesen Tagen ist jüdisches Leben wieder bedroht wie selten seit der Nachkriegszeit. Wir sprachen mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern über den beispiellosen Hamas-Terror in Israel und das Erstarken der rechtsextremen AfD bei uns in Bayern.

Frau Knobloch, haben Sie sich etwas Derartiges wie den Hamas-Überfall auf Gaza je vorstellen können?

Das hat sich keiner vorstellen können. Und ich hoffe sehr, dass dieser Albtraum bald endet und die Israelis die Geiseln befreien und die Gewalt beenden können. Wir können uns gar nicht vorstellen, was diese Geiseln jetzt durchmachen müssen!

Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus der jüdischen Gemeinde? Haben die Menschen Angst?

Ja, das ist für uns alle eine schreckliche Zeit. Fast jeder von uns hat Freunde, viele auch Familie in Israel, die wir zu erreichen versuchen. Oft gelingt das nicht und die Sorge ist groß. Es ist eine viel schlimmere Situation als im letzten Jom-Kippur-Krieg 1973: Das war damals eine militärische Aktion, Armee gegen Armee. Heute sehen wir Terror gegen Zivilisten in einer Art, wie ich sie immer gefürchtet habe, seit der Iran offen mit der Auslöschung Israels droht.

Teile der Palästinenser in Deutschland feiern die Hamas-Gräuel …

Ich habe überhaupt kein Verständnis für die Verantwortlichen, die das zulassen. Der Judenhass ist ja nicht erst mit diesem Überfall entstanden, sondern seit Jahren angewachsen, und er wird immer stärker. Es ist für mich unverständlich, dass nicht durchgegriffen wird, um derartige Freudenfeiern über ein Blutbad zu unterbinden. Es darf nicht sein, dass Hass derart offen unterstützt werden darf.

Sind die jüdischen Einrichtungen in Bayern ausreichend geschützt?

Ich hoffe sehr, dass in ganz Deutschland die Schutzmaßnahmen entsprechend angepasst werden. Denn wir wissen nicht, was diese Form von Terrorismus für uns alle noch an Bedrohungen bringen wird.

Gab es aus der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland auch Zeichen der Solidarität mit Israel?

Uns hat in dieser Hinsicht bislang nichts erreicht.

In Deutschland gibt es Diskussionen über die israelische Gegenwehr. Was sagen Sie denen, die Israels Raketen auf Gaza kritisieren?

Da sage ich: In diesen Momenten brauchen wir Menschen, die das erklären und die sich gegen Verdrehungen der Wahrheit auflehnen. Nicht nur in Sonntagsreden, sondern auf allen Plattformen und in allen Bereichen. Gerade jetzt.

Müssen wir fürchten, dass aus dem Krieg der Hamas ein Flächenbrand wird?

Der Flächenbrand ist in gewisser Weise schon da, vor allem angesichts der Unterstützung des Iran. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hamas die Kraft für eine solche Aktion hätte ohne Hilfe von den entsprechenden Kreisen im Iran. Mich beunruhigt diese Situation sehr – und ich hoffe, dass Israels Freunde, allen voran die USA, dem Land in dieser schweren Stunde ausreichend beistehen.

Sie haben am Mittwoch vor der Wahl eine bewegende Rede bei der „Zammreißen“-Demo auf dem Odeonsplatz gehalten. Nach diesem AfD-Ergebnis: Sind all Ihre Bemühungen gegen ein Wiedererstarken des Rechtsextremismus umsonst gewesen?

Mir ist vollkommen klar, dass man mit solchen Reden die AfD-Wähler nicht erreicht, ihnen im Gegenteil sogar noch mehr Stimmen verschaffen kann. Aber wir müssen verhindern, dass unsere jungen Menschen dieser undemokratischen Partei auf den Leim gehen – das ist mein Thema, wenn ich auf solchen Veranstaltungen spreche. Die Politik muss dafür sorgen, dass die AfD nicht in eine Position der Verantwortung kommt. Es gibt heute nur noch wenige Zeitzeugen, die im 20. Jahrhundert miterlebt haben, wie der Rechtsextremismus Menschen für sich einnimmt. Aber die, die es gesehen haben, sagen alle: Diese AfD ist der Anfang dessen, was wir in Deutschland schon einmal durchgemacht haben!

Interview: Klaus Rimpel

Artikel 2 von 9