Bern – Mit einer populistischen Rechtsaußen-Partei kennen die Schweizer sich aus. Während in Deutschland viele angesichts von Umfragen mit mehr als 20 Prozent Zustimmung für die AfD Schnappatmung bekommen, bleiben sie entspannt. Das AfD-Vorbild Schweizerische Volkspartei (SVP) ist schon seit 20 Jahren stärkste Partei. Sie dürfte bei der Parlamentswahl am Sonntag noch etwas zulegen, auf rund 28 Prozent. Brandmauern? Krisensitzungen? Nichts davon. Die SVP regiert mit.
„SVP und AfD sind sich grundsätzlich ähnlich, bei gewissen Themen ist die SVP noch rechter“, sagt Politikwissenschaftler Michael Hermann, Leiter des Instituts Sotomo, das unter anderem Meinungsumfragen durchführt. Die SVP sei aber in der Regierungsverantwortung. „SVP-Politiker gehen im Wahlkampf einerseits komplett auf Attacke mit harten Positionen, aber als Regierungsvertreter führen sie sich anders auf“, sagt Hermann. „Das Doppelspiel ist sehr etabliert und akzeptiert.“
Die SVP ist wie die AfD nationalkonservativ, schürt Ängste vor Ausländern und besonders dem Islam. Sie wettert gegen eine Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland und die Europäische Union. In den 90er-Jahren eine Annäherung an die EU verhindert zu haben, zählt sie zu ihren größten Verdiensten. In unsicheren Zeiten mit Kriegen und Konflikten seien konservative Parteien, die Altes bewahren wollen, traditionell stärker, sagen Politologen. Themen wie der Klimawandel, mit dem Grüne oder Sozialdemokraten punkten, träten bei der Entscheidung der Wähler in den Hintergrund.
Der Unterschied: Die AfD wurde als Protestpartei gegen „die da oben“ erst 2013 gegründet. Die Wurzeln der SVP reichen dagegen mehr als 100 Jahre zur Bauernpartei von Zürich zurück. Aus einem Zusammenschluss mit anderen Parteien wurde in den 70er Jahren die SVP. In den 90er Jahren startete Milliardär und Unternehmer Christoph Blocher den Rechtsaußen-Kurs. „Sie musste sich nie als demokratiestützende Partei legitimieren“, sagt Historiker Damir Skenderovic. „Es gab nie eine Diskussion darüber, ob man mit dieser Partei zusammenarbeitet oder nicht.“ SVP-Parteivorsitzende Marco Chiesa konnte Fotos im Parlament mit Vertreterinnen einer Neonazigruppe ungestraft mit Unwissen abtun. Eingeladen hatte die Frauen ein Parteikollege.
Dass die Stärke einer rechtspopulistischen Partei in der Schweiz nicht zur Zerreißprobe wird, hat mit dem politischen System zu tun. Seit Jahrzehnten stellen die vier größten Parteien einvernehmlich die siebenköpfige Regierung. Zwei sind von der SVP. Minister bleiben oft zehn und mehr Jahre im Amt, bis sie ihren Rücktritt einreichen.
Parlamentswahlen ändern nur die Fraktionsstärke im Parlament. Auch gelten Wahlen nicht als Gelegenheit, der Regierung mal einen Denkzettel zu verpassen. Denn es gibt vier Volksabstimmungen im Jahr. Dabei kann jeder mit genügend Unterschriften eine Initiative starten. Wenn die Mehrheit bei einer Volksabstimmung zustimmt, kann die Regierung auch so in die Schranken verwiesen werden. Die Beteiligung bei nationalen Wahlen liegt meist unter 50 Prozent. VON CHRISTIANE OELRICH