Lenggries – Ein neues Mykene oder Machu Picchu wird man in den Bergen des Isarwinkels sicherlich nicht entdecken können. Doch es gibt auch hier noch zahlreiche magische Orte mit verschwundenen Almen: Grundmauern und andere Überbleibsel von einstigen Gebäuden, so genannte Kaser, erinnern an eine teilweise untergegangene Berglandwirtschaft teilweise mit ganzen Almsiedlungen, deren Blütezeit bereits im 14. Jahrhundert begonnen hatte.
In einer 150 Jahre alten Landkarte des Isarwinkels findet man allein zwischen der Hochalm und dem Sylvenstein in den steilen Wasserbergen drei heute nicht mehr existierende Almen: Scheiderloh Alp, Langenwand Alp und Geltvieh Alp. Auch überm Gaißacher Steinbachtal östlich des Rechelkopfes (der in dieser Karte noch Hühner Eck heißt) gab es eine Geiger Alp, Rohbrunner Alp und Grundner Alp. Die heute nahezu komplett bewaldeten Vorberge zwischen Gaißach und Bad Wiessee bestanden einst aus einer Perlenkette von Almen. Zahlreiche aufgegebene Almen findet man auch im Vorkarwendel.
Wie der ehemalige Forstbeamte, Ortsheimatpfleger und Almforscher Rupert Wörndl aus Frasdorf kürzlich im Bayerischen Fernsehen sagte, sind im Chiemgau seit dem Ersten Weltkrieg und noch bis in die 1960er-Jahre viele Almen aus forstwirtschaftlichen Interessen „abgebrochen und zum Teil sogar gesprengt worden“.
Ähnliches ereignete sich Ende der 1960er-Jahre auch im Isarwinkel, wovon der Gaißacher Landwirt und frühere Almbauernchef Georg Mair zu berichten weiß. Während seiner Jugendzeit als Hüterbub auf der Lerchkogel- und Ludern-Alm seien Holzknechte zum nicht weit entfernten Kotzen-Niederleger im Vorkarwendel südlich von Fall aufgestiegen und hätten „das Dach heruntergerissen, damit es hineinregnet und die Hütte rascher verfällt“. Dieser Anblick sei für die Almleute schmerzlich gewesen. „Wir haben uns dann aber noch alles irgendwie Brauchbare aus der Ruine herausgeholt“, berichtet er. Robert Krebs vom Tölzer Forstbetrieb bestätigt diese Geschichte, meint jedoch, dass das „nicht ursächlich war für den Verfall dieser Alm, sondern den Vorgang nur beschleunigen sollte“. Inzwischen, das betonen sowohl Georg Mair als auch Robert Krebs, habe ein Umdenken stattgefunden: „Die Konkurrenz ist einem vertrauensvollen Miteinander zwischen Alm- und Forstwirtschaft gewichen.“ Krebs ergänzt: „Wald und Weide befinden sich heute in einer guten Balance.“ Dazu beigetragen habe die seit den 1970er-Jahren von paritätisch besetzten Kommissionen im Einvernehmen erzielte Trennung von Wald und Weide. Es sei „unbestritten, wie bedeutsam die freien Flächen und Grenzbereiche zwischen Alm und Wald für die Artenvielfalt sind“.
Das kontinuierliche Almensterben hatte mehrere Gründe: Es herrschte viel Not und die Erträge waren gering. Die mühselige Arbeit weit abseits der Hofstellen war nicht mehr rentabel, weil es damals weder Fahrwege noch spezielle Förderprogramme gab. Und mit dem Aufstreben von Gewerbe und Industrie waren die Arbeitskräfte in besser bezahlte Berufe abgewandert. Die Bergbauern konnten da nicht mehr mithalten. Die ungünstigsten und entlegensten Standorte von Almen wurden deshalb nach und nach aufgegeben.
Es fehlte auch noch an Wertschätzung für dieses kulturelle Erbe der Menschheit. Und dann trat auch noch die Forstwirtschaft auf den Plan, die sich damals in einer Konkurrenz zur Almwirtschaft sah und sie zurückdrängen wollte.
Doch das ist Vergangenheit. Als entscheidend für die Zukunft der Bergbauern sieht es Robert Krebs an, dass man „die Almwirtschaft weiterhin so unterstützt, dass sie für kommende Generationen von Landwirten attraktiv bleibt“. Heute stehe man viel besser da, bestätigt der frühere Chef der Almbauern, Georg Mair: Die Politik habe die Bedeutung der extensiven Bewirtschaftung als Garant für den Fortbestand dieser ökologisch wertvollen und auch für den Tourismus wichtigen Kulturlandschaft erkannt und unterstütze sie mit finanziellen Förderprogrammen.
Die verschwundenen Almen werden unterdessen mehr und mehr zu einem Betätigungsfeld für Heimatforscher und Archäologen. Anhand alter Landkarten lassen sie sich noch lokalisieren. Zu erkennen sind sie im Gelände an rechteckig angeordneten Mauerresten, manchmal auch an Metallteilen, Resten von Gerätschaften und Brandstellen.
Fehlen solche Spuren, lassen sich diese Orte auch noch an einem auffallend starken Brennnessel-Bewuchs erkennen: Der rührt daher, dass unmittelbar vor den Viehunterständen der Stickstoffeintrag durch die Exkremente der Rinder besonders hoch gewesen ist.