Klosterbrüder missbraucht

von Redaktion

Schwere Vorwürfe gegen Ex-Prior – Aufarbeitung beginnt

Triefenstein – Rund fünf Jahre nach dem Tod eines Mitgründers bezichtigt die ökumenische Kommunität der Christusträger Bruderschaft den ehemaligen Prior des sexuellen Missbrauchs. Er habe sich von 1963 bis 1995 an mindestens acht Brüdern vergangen, darunter mindestens einer, der noch nicht volljährig war. „Das gehört nun zum Erbe unserer Gemeinschaft“, sagt Bruder Christian Hauter am Sitz der Bruderschaft im unterfränkischen Triefenstein am Main. „Wir müssen dazu stehen, was andere verkehrt gemacht haben.“

In ungewöhnlich offener Art setzen sich die Christusträger mit dem wohl dunkelsten Kapitel ihrer Gemeinschaft auseinander – und zwar öffentlich. Hinter ihnen liegt eine lange Zeit des Verdrängens, des Schweigens: „Wir waren viele Jahre blind für die Schattenseiten unseres ersten Priors, wir haben viel zu lange gebraucht, bis wir ihn als Hochstapler gerade in geistlichen Angelegenheiten durchschaut haben“, schreibt der Leitungskreis der Bruderschaft in einem offenen Brief an rund 6000 Freunde und Weggefährten.

Schwarz auf weiß ist im Internet dieses Leid nun nachzulesen – zu Tage gefördert von einer durch die Bruderschaft beauftragten Expertenkommission. Auf 99 Seiten geht es um ein ausgeklügeltes Missbrauchssystem: Machtmissbrauch, geistlicher Missbrauch und sexueller Missbrauch waren demnach in der in Hessen gegründeten Gemeinschaft miteinander verwoben. Kurz vor oder nach Abendmahl, Seelsorge oder Beichte soll der frühere Prior seine Triebe an Mitbrüdern ausgelebt haben, die ihm hörig waren. „Damals waren wir Brüder es nicht gewohnt, untereinander oder gar öffentlich über Probleme zu sprechen.“ Durch seinen autoritären Führungsstil habe der damalige Prior ein Klima der Angst geschaffen. Für Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Uni Münster sind die Vorgänge bei den Christusträgern kein Einzelfall: „Es zeigt, dass katholisch wie evangelisch in besonderen profilierten geistlichen Gemeinschaften mit Führungsgestalten die hohe Gefahr des geistlichen und sexuellen Missbrauchs besteht.“ Dass man nun die Öffentlichkeit derart offensiv suche, sei allerdings „positiv zu würdigen“.

Im Kloster Triefenstein hat die Bruderschaft seit 1986 ihre Heimat. Sie ist eine ordensähnliche, ökumenische Kommunität innerhalb der evangelischen Kirche, aber nicht Teil der Landeskirche. Derzeit leben zwölf Brüder sowie weitere Christusträger in dem Kloster. Das Haus steht auch Auswärtigen offen.

Der Mitgründer und seit der Gründung 1961 erste Prior der Kommunität war 1996 abgesetzt worden, nachdem seine mutmaßlichen Übergriffe bekannt wurden. An die Öffentlichkeit ging die Bruderschaft aber nicht. „Schon damals hätten wir die Polizei und eine unabhängige Beratungsstelle einschalten sollen. Beides ist nicht geschehen. Heute wissen wir, das war ein Fehler“, gibt die Leitung in dem Brief zu. 2018 starb der Verdächtige. Deshalb gibt es keine Ermittlungen gegen ihn mehr. Insgesamt sollen mindestens vier Brüder Täter gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft untersucht, ob ihre Taten mittlerweile verjährt sind. Die drei Verdächtigen gehören nicht mehr zur Bruderschaft, einige der mutmaßlichen Opfer dagegen weiterhin.  dpa

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