Planegg – Ingeborg Löhlein hat in den vergangenen 82 Jahren viele knifflige Aufgaben gelöst. Aber selten hat sie etwas so viele Nerven gekostet wie das kleine Gerät, das sie seit zehn Monaten in ihrer Handtasche mit sich herumträgt. Ihre Kinder wollten, dass sie ein Smartphone besitzt. Und insgeheim wusste sie natürlich, dass sie der modernen Technik nicht entfliehen kann. Aber seit das Internet ihren Alltag erreicht hat, gibt es regelmäßig diese Momente zum Verzweifeln.
Deshalb sitzt Löhlein an diesem Vormittag in der Würmtal-Insel in Planegg. Vor ihr liegt ein Notizblock, neben ihr sitzt Beatrix Dinkelmaier. Die 65-Jährige ist eine von sechs Ehrenamtlichen, die sich für das neue Projekt „Senioren digital“ gemeldet haben. Sie alle haben Zeit, Geduld – und sich vorgenommen, Senioren dabei zu unterstützen, mit Handy oder Tablet besser zurechtzukommen.
Wie so oft, wenn Ingeborg Löhlein ihr Handy in die Hand nimmt, ist gleich eine Frage da. Beziehungsweise ein Anruf in Abwesenheit. „Wie kann ich rausfinden, wer mich angerufen hat?“, fragt sie. Dinkelmaier erklärt ihr, dass sie auf die rote Eins tippen muss, die den verpassten Anruf anzeigt. Und Ingeborg Löhlein beginnt damit, sich Notizen zu machen. Zum Beispiel, als ihr Dinkelmaier erklärt, wie sie am schnellsten auf ihre Kontakte zugreifen kann. Oder als es um die vielen kleinen Symbole geht, die sie antippen kann. Dinkelmaier erklärt noch keine fünf Minuten, als Ingeborg Löhlein sie das erste Mal dankbar anlächelt und sagt: „Ach, ist das angenehm mit Ihnen.“
Die 82-Jährige hatte schon einiges versucht, um mit dem Smartphone besser zurechtzukommen. Die ersten drei Monate haben ihr ihre Kinder geholfen. Dann ist ihnen die Geduld ausgegangen. „Sie sagen, ich bin ein hoffnungsloser Fall“, sagt Löhlein und lächelt etwas verlegen. Also hat sie in professionelle Hilfe investiert – und sich in einem vhs-Kurs angemeldet. Aber der Dozent wollte ihr zu viel auf einmal beibringen, sie war danach noch überforderter. Als sie die Sache mit dem Internet schon aufgeben wollte, las sie in der Zeitung von dem neuen Digital-Projekt – und vereinbarte einen Termin.
Insgesamt 15 Senioren haben sich seit Ende September bereits digitale Erste Hilfe geholt, berichtet die Koordinatorin Andrea Schüler (Kontakt unter 089/89 32 97 40). Bislang hat sie nur positive Rückmeldungen bekommen. „Das Angebot ist für viele ältere Menschen auch eine Chance auf soziale Teilhabe“, betont sie. Viele schaffen es mit etwas Hilfe, intensiver mit ihren Enkeln in Kontakt zu bleiben. Auch einige Alltagsbereiche seien ohne E-Mail-Adresse oder Smartphone nur noch schwer zugänglich. Das kann Ingeborg Löhnlein nur bestätigen. „Beim Reisen geht vieles nur noch mit Handy“, erzählt sie. „In solchen Momenten fühle ich mich immer wie ein Depp.“
Neulich erst hat sie sich überlegt, dass sie an Silvester gerne mit einigen Freunden ins Theater gehen würde. Der Plan scheitert bisher noch am Kartenkauf. „Können wir mal zusammen schauen, was im Spielplan steht?“, fragt sie Dinkelmaier. Die 65-Jährige hilft ihr, über Google die Seite des Cuvilliés-Theaters in München aufzurufen. Bis sie den Spielplan für die kommenden Wochen vor sich hat, muss auch sie etwas kämpfen. „Manche Internetseiten sind wirklich nicht sehr Senioren-freundlich gestaltet“, sagt sie. Trotzdem schaffen es die beiden Frauen, sich zielsicher bis zum 31. Dezember vorzuarbeiten – um dann zu merken, dass bereits alles ausverkauft ist. „Da kann auch die neuste Technik nichts machen“, sagt Löhlein und lacht. Sie ist froh, dass sie nicht vergebens zur Vorverkaufsstelle fahren musste.
Aber aus ihrer Unsicherheit ist inzwischen Neugier geworden. „Ich würde manchmal so gerne nach öffentlichen Verkehrsmitteln suchen“, sagt sie. Das ist Dinkelmaiers leichteste Übung. Zielsicher navigiert sie die 82-Jährige durch die Internetseite der MVG – und danach sogar noch durch die weltweiten Möglichkeiten von Google Maps. Die letzte Herausforderung für heute ist Ingeborg Löhleins E-Mail-Postfach. Bisher hat sie es noch nie geöffnet. Schließlich war sie sich bis vor einer Stunde noch nicht mal sicher, ob sie eine E-Mail-Adresse besitzt. Beatrix Dinkelmaier zeigt ihr, wie sie die vielen Spam- und Werbemails löschen kann, die unbemerkt in ihrem Postfach gelandet sind. „Ein schönes Gefühl“, sagt die 82-Jährige, während sie selbstsicher wischt und klickt. „Das könnte meine neue Lieblingsbeschäftigung werden.“
Nicht alle ihre Fragen konnte Beatrix Dinkelmaier an einem Vormittag beantworten. „Ich brauche unbedingt einen zweiten Termin bei Ihnen“, sagt Löhlein nach anderthalb Stunden dankbar. Schließlich hat sie grade erfahren, dass über WhatsApp auch Video-Anrufe möglich sind. Die überraschten Gesichter ihrer Kinder oder Enkel wären es ihr wert, das auch noch zu lernen. Die Angst vor dem Smartphone hat sie heute ein wenig verloren. Ingeborg Löhlein geht ein wenig selbstsicherer nach Hause. Abends will sie noch ein bisschen üben, sagt sie. Vielleicht hat sie Glück und es sind bis dahin noch ein paar Spam-Mails angekommen, die sie mit Vergnügen löschen könnte.