München – Bei der Landtagswahl im September 2003 hatte die CSU mit Edmund Stoiber einen phänomenalen Sieg eingefahren (60,7 Prozent). Doch schon mit der ersten Regierungserklärung im November kam das böse Erwachen: Stoiber verkündete ein Regierungsprogramm, das zehn Prozent der Staatsausgaben einsparen wollte. Die berüchtigte „Giftliste“ umfasste von Kürzungen beim Blindengeld bis hin zu Einsparungen bei der Aidsberatung so ziemlich jeden Bereich und verschonte auch die Schulen nicht.
Vor allem ein Stoiber-Satz ist Michael Schwägerl, heute Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands, in unguter Erinnerung geblieben. „Das deutsche Bildungssystem“, so sagte der Regierungschef, „raubt den Jugendlichen wertvolle Zeit“ – die sie lieber für Familiengründung, Aufbau der Arbeitsversorgung und Berufserfahrung nutzen sollte. Die Aufgabe, das Gymnasium von neun auf acht Jahre zu stutzen, übertrug Stoiber seiner Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) – die sich einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt sah. Bei der Jahrestagung des Philologenverbands im Dezember wurde Hohlmeier gnadenlos ausgepfiffen – ein unerhörter Vorgang. Bis heute auch legendär: Hohlmeier bestellte unbotmäßige Gymnasialdirektoren in ihr Büro ein und bügelte sie ab. Ein renitenter Schulleiter, der partout seine G8-Kritik nicht einstellen wollte, wurde sogar von Laufen ins denkbar weit entfernte Alzenau/Unterfranken versetzt.
Philologenchef Schwägerl war damals noch nicht verbandspolitisch aktiv, sondern normaler Lehrer am Gymnasium in Höchstadt a.d. Aisch. Er erinnert sich noch gut, dass er zusammen mit seiner Frau einen Protestbrief an Hohlmeier schrieb. Er bekam sogar eine Antwort, aber von den Plänen abrücken wollte Hohlmeier natürlich nicht. Das G8, sagt Schwägerl heute, „war ein Kind seiner Zeit“. Es ging um Effizienzsteigerung, Einsparungen, Verschlankung. „Es ging also nicht um Bildung, sondern um ganz andere Themen.“ Hinter dem Kürzungsplan, sagt er, war kein pädagogischer Ansatz erkennbar. Ein Irrweg. Da war es nicht verwunderlich, dass am G8 immer wieder herumgedoktert wurde. „Nachbesserungen“ nannte man das damals.
Eine Geschichte des G8 kann ohne seine Widerständler nicht geschrieben werden. Walter Bertl aus Fürstenfeldbruck, Personalrat und im Kultusministerium und G8-Rebell, unterstützte von Anfang an diverse Bestrebungen für Volksbegehren – die alle scheiterten. Den Umkehrschwung, sagt Bertl, brachte erst die Hauptversammlung des Philologenverbands 2013, die nach heftigen Auseinandersetzungen mit Mehrheit für die Rückkehr zum G9 plädierte. Da dämmerte es Ministerpräsident Horst Seehofer, dass er den Ärger mit dem G8 nicht mehr in den Griff bekommen würde. Am 7. Dezember 2017 votierte der Landtag fast einstimmig für ein neues G9.
Seitdem wächst das G9 Jahrgang für Jahrgang von unten auf. In diesem Schuljahr wird der letzte G8-Jahrgang das Abitur machen, die ältesten G9-Schüler sind nun in der 11. Jahrgangsstufe. Folglich wird es im Schuljahr 2024/25 fast keine Abiturienten geben. Lediglich Schüler der Mittelstufe plus, die es an knapp 50 Gymnasien gibt, und G8-Wiederholer werden am Start sein – geschätzt vielleicht 5000 Abiturienten statt der sonst üblichen 30 000.
Danach ist das G8 endgültig Geschichte. Insgesamt 14 G8-Jahrgänge mit knapp 500 000 Absolventen werden dann ein G8-Abitur in Bayern abgelegt haben, rechnet das Kultusministerium vor. Von einer „verlorenen“ Generation möchte Philologenchef Schwägerl – er hat selber G8-Kinder – aber nicht sprechen. Die allermeisten G8’ler dürften ihren Weg gemacht haben.