Wenn der Bulle schnaubt: Die Gefahr im Kuhstall

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS

München – 50 Jahre lang hat Irmi Auer (68) Kühe gemolken. Nie ist etwas passiert. Bis zum Dezember 2022 daheim auf dem Laglerhof in Nußdorf am Inn (Kreis Rosenheim). „Ich habe die Kuh vom Melkzeug befreit. Dann ist ein Deckel von einer Milchkanne runtergefallen – und die Kuh hat sich erschreckt.“ Die junge Kuh schlägt aus, erwischt Irmi Auer mit den Hinterbeinen, bricht ihr den Oberschenkel und den Schienbeinkopf.

Zum Glück ist ihr Mann Anderl auch im Stall. Er kann seiner Frau helfen und ruft den Rettungsdienst. „Kühe sind unberechenbar“, weiß die Bäuerin. Zum Beispiel wenn Jungkühe ans Melken noch nicht gewöhnt sind – wie in ihrem Fall. Gut ein Jahr nach dem Unfall leidet Irmi Auer noch immer an den Folgen des Unfalls. Sie braucht nach wie vor Physiotherapie.

Die Milchkühe haben die Auers inzwischen abgeschafft. Die Bauernfamilie hält nur noch 22 Stück Jungvieh, die im Sommer auf ihrer Alm sind und mit drei Jahren geschlachtet werden. Kälber gehören auf den Laglerhof – allein schon für die Gäste ihrer Ferienwohnungen.

Der Unfall bei den Auers war einer von 1348 meldepflichtigen Unfälle mit Rindern, die sich 2022 in Bayern ereignet haben. Vier von ihnen endeten sogar tödlich. Auch kürzlich erst gab es zwei schwere Unfälle mit Rindern im Kreis Weilheim-Schongau: Am 30. September wurde ein Tierarzt in Raisting von einer Kuh eingequetscht. Er starb noch vor Ort an seinen inneren Verletzungen. Am 27. Oktober hat ein Stier einen 66-jährigen Landwirt in Peiting schwer verletzt, als der Bauer mit seinem Enkel die Rinder auf den Hof trieb. Das 900 Kilo schwere Tier rammte den Mann zu Boden und stieß mit dem Kopf mehrfach gegen dessen Brust und Kopf. Dem Enkel gelang es schließlich, den Stier mit einer Zaunlatte vom Großvater abzulenken und den 66-Jährigen hinter einen Anhänger zu ziehen.

Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau hat Grundregeln für die sichere Rinderhaltung aufgestellt. Auf der Weide sei darauf zu achten, dass ein Treibewagen, geeignete Fluchtmöglichkeiten und eine zweite Person dabei ist, die im Notfall warnen oder helfen kann – insbesondere, wenn in der Herde ein Bulle mitläuft. Auch im Stall soll man möglichst nicht allein sein.

Wer mit Rindern umgeht, muss die Verhaltensweisen der Tiere kennen. Sie sind Fluchttiere, reagieren sehr empfindlich auf laute und schrille Geräusche. „Machen Sie sich beim Herantreten an Rinder mit ruhiger Stimme bemerkbar“, empfiehlt die Berufsgenossenschaft. Überhaupt: Ein häufiger Kontakt zu den Tieren – gerade wenn ein Melkroboter genutzt wird – ist geboten. Denn: Wer die Tiere häufig erlebt, erkennt die Sozialstruktur der Herde. Direkter Blickkontakt ist zu vermeiden, denn er löst eine Fluchtreaktion aus.

Mit Jungvieh auf der Alm oder im Laufstall sieht Irmi Auer keine Probleme. „Man hat ja einen Umgang mit den Tieren, redet mit ihnen – das ist ganz wichtig, dann kennen sie dich“, weiß die Bäuerin. Einen Bullen hätte sie aber nicht in der Herde haben wollen. „Die sind gefährlich – auch im Laufstall.“

Die Berufsgenossenschaft betont daher: „Die Tierbeobachtung ist bei Bullen überlebenswichtig.“ Drohgebärden müssten ernst genommen werden: Wenn der Bulle den Kopf schüttelt, mit dem Schwanz peitscht, scharrt und die Zunge herausstreckt, wird es gefährlich. „Er wird röhren, schnauben und die Augen aufreißen, bevor er mit gesenktem Kopf nach vorne springt.“ Vorsicht ist schon vorher geboten, wenn sich der Bulle zwischen Bauer und Herde stellt, den Kopf senkt oder sich breit aufstellt. Kurzum: Verhält sich der Deckbulle aggressiv, muss er unverzüglich aus dem Betrieb entfernt werden.

Seit 2021 ist eine separate Bullenbox im Stall gesetzlich vorgeschrieben, um die Unfallgefahr zu verringern – es wurde aber eine Übergangsfrist von drei Jahren eingeräumt, sodass es erst ab 2024 in jedem Stall Pflicht ist.

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