Nein, es gibt nichts zu lachen in dieser Zeit. Zugleich muss man sorgsam suchen nach kleinen Dingen, die das Herz erfreuen und dadurch Halt geben können. Denn ohne Halt ist man verloren und kann gar nichts mehr tun gegen das Übel in der Welt. Seelenurlaub braucht es, auch wenn er nur kurz ist, um sich zu sammeln und für das einzustehen, was Leben ausmacht.
Morgen hätte ein Mann 100. Geburtstag, der deswegen gerade gefeiert wird. Vicco von Bülow, kurz Loriot. Er hat die Kulturszene auf unvergleichliche Weise bereichert. Wie, das erinnert jeder auf eigene Weise: Wum und Wendelin, das Rezept „Nilpferd in Burgunder“, ein grünes Sofa, die Ente in der Badewanne, Mops und klassische Musik, Knollennase, Hoppenstedts, Nudel und Frühstücksei, Ödipussi… Loriot war ein feiner Beobachter des Menschlichen, einer, der genau hingeschaut und präzise wahrgenommen hat.
Mir persönlich hat er vor vielen Jahren mit einem überraschend verlaufenden Telefonat ein besonderes Geschenk gemacht. Ich musste ihn damals anrufen, weil wir in einem evangelischen Magazin etwas über die Vorliebe von Prominenten für bestimmte Bibelausgaben machen wollten. Ich hatte schweißnasse Hände und Herzklopfen, als ich Herrn von Bülows Privatnummer wählte, die ich listig herausgefunden hatte. Er war sogleich am Apparat, was mich in neuen Schrecken versetzte. Wie sollte ich diesen berühmten Mann dazu bringen, mit mir zu sprechen? Der kannte mich ja gar nicht. Wahrscheinlich würde er, so dachte ich, bei einem solchen No-Name wie mir alsbald auflegen. Weit gefehlt. Loriot fragte und fragte – ich war es, die ihm zu antworten hatte. Wer ich bin, woher ich komme, was ich bisher getan habe und jetzt mache, was wir mit dem Magazin wollten… Es hörte nicht auf. Loriot ließ keine Ungenauigkeit durchgehen, wenig konkrete Aussagen hinterfragte er so lange, bis sie hundertprozentig waren. Nach 20 Minuten meisterlich-sensiblen Verhörs durfte ich, nun hocherfreut und stolz, meine Bitte vortragen. Loriot erläuterte, warum die 1860 erschienene „Bibel in Bildern“ vom Lutheraner Julius Schnorr von Carolsfeld sein Herz und seinen Geist berührt – verbunden mit der Übersetzung des Reformators. Die akkuraten, aufschlussreich-anrührenden Holzstiche und die theologisch treffsichere Sprache waren es – beides klar-anschaulich, zugleich mit freundlichem Blick auf Gott und Welt.
Loriot hat Menschen mit ihren Stärken und Schwächen erkannt und umwerfend geistreich entlarvt – ohne sie im Mindesten zu verletzen. Im Gegenteil: Man hat stets seine Wertschätzung gespürt – auch als „kleines Licht“. Meine Hoffnung hat gerade wenig Aussicht auf Erfüllung – aber schön wär’s, wenn Menschen sich gegenseitig liebevoll wahrnehmen und, bei aller Kritik, einfach sein und leben lassen könnten.