Abschreibe-Affäre unter Ärzten

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Bei Plagiaten denkt man an den einstigen Bundesverteidigungsminister Guttenberg, dem sein Doktorgrad wegen Abschreiberei 2011 entzogen wurde. Oder an die einstige Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) – nicht mehr Dr. seit 2021. Oder an den CSU-Generalsekretär Martin Huber, dessen Schwindeleien im vergangenen Jahr auffielen. Huber verzichtete freiwillig auf seinen Dr. im Namen, wenngleich es – wie etwa die Evangelische Akademie Tutzing oder der Wirtschaftsbeirat der Union – Institutionen gibt, die ihn weiterhin ehrfurchtsvoll Doktor nennen. Was sich Huber ohne Widerspruch gefallen lässt, es ist ja nicht verboten.

Angesichts solcher Promi-Fälle von wissenschaftlichem Unterschleif geht etwas unter, dass es auch weniger prominente Fälle von Plagiaten gibt. Für die Plagiatsdokumentation VroniPlag Wiki hat die Berliner Wissenschaftlerin Prof. Debora Weber-Wulff 2021 in der „FAZ“ nicht weniger als 70 laufende Fälle sogenannter „No-Names“ – also Nicht-Prominenter – an deutschen Unis gezählt. Das Problem: Die Prüfung durch die Unis laufe „gefühlt wesentlich langsamer“ als bei Prominenten.

Mehrere Fälle beschäftigen auch die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität – und der bizarrste handelt von Besenreisern. Darüber promovierte 2006 an der LMU eine Medizinerin, die mittlerweile als Zahnärztin außerhalb Bayerns arbeitet. Zeitgleich reichte aber auch an der Charité in Berlin ein Mediziner, ebenfalls Zahnarzt, eine Dissertation dazu ein. Beide dürfen sich seitdem Dr. nennen. Die Namen sind unserer Redaktion bekannt, da es keine Personen des öffentlichen Lebens sind, werden sie anonymisiert.

Dass Zahnärzte über nicht zahnmedizinische Themen promovieren, ist nicht ehrenrührig – es geht ja nur darum, wissenschaftliches Arbeiten nachweisen zu können. 2015 aber prüfte VroniPlag Wiki die Arbeiten – und fand heraus, dass Frau Doktor von Herrn Doktor offenbar massiv abgeschrieben hatte – auf 75 Prozent der Seiten gab es Plagiatsfunde. Doch das führte bisher nicht zum Entzug der Doktor-Würde. Die LMU bestätigt gegenüber unserer Zeitung nur, „dass es zwei nahezu identische Dissertationen gibt, von denen eine an der Medizinischen Fakultät der LMU entstanden ist“. Es gebe aber eine undurchsichtige Beweislage, eine komplexe Indizienprüfung und eine langwierige Kommunikation mit den „an den beiden Promotionsverfahren Beteiligten bzw. deren Rechtsbeiständen“. Die Untersuchung sei „zusätzlich durch die Corona-Pandemie nicht unerheblich behindert worden“, schreibt Pressesprecherin Claudia Russo. Das Verfahren laufe also noch.

Die Pandemie hält der Plagiatsforscher Jochen Zenthöfer für eine Ausrede. „Verzögern, verharmlosen, vergessen“, das sei das Motto in diesem Fall, unkt der Wissenschaftler. „Seit Mai 2015 weiß die LMU Bescheid.“ Die Arbeit sei weiter im Netz abrufbar. Dass die Uni mit der Prüfung nicht vorankomme, drohe „den guten Ruf der Münchner Wissenschaft zu gefährden“. Der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) müsse die Aufklärung zur Chefsache machen.

Bei VroniPlag Wiki glaubt man mittlerweile zu wissen, wie es zur Abschreiberei kam. Der Vater der Medizinerin war Professor für Gefäßchirurgie und zudem an einer Privatklinik tätig – wo der Zahnmediziner, der dann an der Charité promovierte, seine Studien durchführte. Auf welchen Kanälen dessen Arbeit an die Medizinerin gelangte, darüber kann man nur spekulieren. Von einer Klage, einem Vergleich und einer Geheimhaltungsklausel ist zu hören.

Angesichts dieser und anderer Plagiatsfälle hat die Medizinische Fakultät der LMU vor einiger Zeit die Notbremse gezogen. Der Fakultätsrat beschloss, künftig alle medizinischen Doktorarbeiten einer Plagiatsüberprüfung zu unterziehen. Wird ein Schwindler erwischt, hat er die „einmalige Chance“, nachzuarbeiten.

Frau Doktor schrieb offenbar von Herrn Doktor ab

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