Tübingen/München – 1994 stieß ein Baggerfahrer bei Arbeiten für eine Aral-Tankstelle am Rand von Leipheim im Landkreis Günzburg auf zwei gut erhaltene Skelette. Da einer der Schädel schwere Verletzungen aufwies, wurden die Kripo und die Gerichtsmedizin eingeschaltet.
Und in der Tat: Es handelte sich um zwei Mordopfer. Sie waren allerdings schon fast 500 Jahre alt. Opfer des Bauernkriegs von 1525. Ein Fall für die Archäologen – nicht für die Kriminalpolizei.
Eine weitere Grabung brachte in ein Meter Tiefe zwei Massengräber zutage. Insgesamt 26 Leichen. Der Fund schaffte es 1994 in die Fachzeitschrift „Das Archäologische Jahr in Bayern“, wo die drei Ausgräber berichteten: „Bei den Arbeiten umlagerten uns stets zahlreiche Schaulustige, für die es von Anfang an klar war, dass es sich bei den Skeletten um Tote der Leipheimer Bauernschlacht handelt.“
Natascha Mehler, Professorin für Archäologie an der Universität in Tübingen, nennt die Skelette lieber „Individuen“. Fast 30 Jahre lang lagen diese Individuen unbeachtet in einem Depot der Anthropologischen Staatssammlung in Baldham (Kreis Ebersberg) – bis eines Tages Natascha Mehler und ihre Studentin Chiara Raich mit einem VW-Transporter zum Depot fuhren. 24 Pappkartons mit Knochen luden sie ein und brachten sie nach Tübingen. An Mehlers Institut werden die sterblichen Überreste wissenschaftlich untersucht. Mehler ist eine Kapazität für neuzeitliche Archäologie. Sie wohnt in Aschau am Chiemsee, ihr Spezialgebiet sind Wikinger auf Island und den Shetland Inseln. In diesem Jahr war sie aber auch schon in Paraguay, wo sie Überreste der Nueva Germania ausgrub – eine Siedlung, die von deutschen Auswanderern in den 1880er-Jahren gegründet worden war.
Nun also die armen Bauern: Ortstermin in Mehlers Institut im Schloss Hohentübingen, ein verwinkelter riesiger Kasten. Oberster Stock, reichlich Fachwerk, Holzfußboden, Vitrinen mit Ton, Steinen, Scherben. In einem Nebenraum stapeln sich die Pappkartons. Auf dem Tisch von Chiara Raich liegt gerade das Individuum aus Karton 4.
Die Studentin schreibt eine Masterarbeit über das Gewaltverbrechen. Der Bauernkrieg ist bald 500 Jahre her – in zwei Jahren wird es im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart eine Jubiläums-Landesausstellung mit den bayerischen Funden geben. Bayern droht den Termin seltsamerweise zu verschlafen – nur das Stadtmuseum Memmingen plant etwas.
Man kennt weder Namen noch das Alter, nicht den Wohnort und auch keine Familienangehörigen. Was man aber kennt, sind die Umstände des Todes: Bei der Schlacht von Leipheim am 4. April 1525 wurden Hunderte, wenn nicht Tausende aufständische Bauern von Landsknechten des Schwäbischen Bundes unter Führung des Georg Truchseß von Waldburg, genannt Bauern-Jörg, niedergemetzelt.
Und ja, so war es wohl wirklich: „Es war ein Gemetzel“, sagt Mehler und zeigt das Foto eines Schädels, der mittlerweile wieder in das kleine Bauernkriegsmuseum von Leipheim zurückgewandert ist. Er hat in der Mitte eine klaffende Wunde – „Spuren scharfer Gewalt“, wie Mehler sagt. Ein Axthieb vielleicht. Auch Individuum Nummer 4 hat grauenhafte Verletzungen. Chiara Raich nimmt drei Fingerknochen. Zwei sind nur Stummel. „Ein sauberer Schnitt“, sagt sie nüchtern. Offenbar durch einen Hieb auf die Hand, die „in Abwehrhaltung“ erhoben war, und zum Teil glatt abgeschlagen wurde. Ob das die Todesursache war? Unklar, sagt Chiara Raich. Über innere Verletzungen könne man nichts sagen – es sind ja nur die Knochen erhalten.
Es gibt noch weitere medizinische Befunde: ein bisschen Arthrose und eine abgenutzte Wirbelsäule. „Der Mann stand und lief viel.“ Nehmen Sie ruhig mal einen Knochen in die Hand, heißt es dann aufmunternd. Und in der Tat: Der Oberschenkelknochen ist erstaunlich schwer. Guter Ernährungszustand also, „ein robustes Individuum“. Allerdings: die Zähne! Stark abgekaut vom Haferbrei, der Hauptnahrung. An einem Zahnhals: starke Karies, wahrscheinlich dauerhafte Zahnschmerzen. Aua. An einem Beinknochen ein kleiner, wohl gutartiger Tumor. Alter: 40 bis 60, „eher 40“, sagt Raich.
Außer den Skeletten haben die Archäologen 1994 auch zwei Päckchen zusammengebackener, von einer grünen Korrosionsschicht überzogener Münzen entdeckt. Numismatiker identifizierten sie: sogenannte Batzen, Halbbatzen, Schillinge und Pfennige – alle aus der Zeit um 1520. Daher war es leicht, die Toten auf die Zeit des Bauernkriegs zu datieren.
Sonst gibt es nicht viel, was den Archäologen weiterhilft. Es gibt keine Gürtelschnallen, Knöpfe, nicht einmal Gewandhäkchen aus Metall. „Das ist kein Wunder“, sagt Chiara Raich. „Die Schlachtfelder des Bauernkriegs wurden im Normalfall komplett abgeräumt, die Toten bis aufs Unterhemd ausgezogen.“ Nur die Münzen, die zwei Opfer wohl in einem Beutel um den Hals trugen, haben die Plünderer übersehen.
Es ging wohl hektisch zu. Es war auch keine Bestattung, denn die Skelette, die man fand, lagen quer übereinander. „Das war eine Entsorgung“, sagt Master-Studentin Raich, „die Toten lagen im Weg und wurden in den Graben geworfen.“
Nun stellt sich die große Frage: Dürfen die Skelette ausgestellt werden? Manche haben wenig Skrupel. Der Ötzi im Museum Bozen – letztlich die Zurschaustellung einer Leiche, auch wenn sie 5300 Jahre alt ist –, ist nur ein Beispiel.
In Sachsen-Anhalt wird seit Kurzem ein Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg ausgestellt – 47 Skelette, hingeschlachtete Soldaten aus der Schlacht bei Lützen 1632. Die sogenannte Blockbergung ist 1,6 Tonnen schwer. Das Museum Lützen will es als „Mahnmal“ gegen den Schrecken des Krieges sehen – aber ein bisschen Sensationslust des Publikums ist wohl einkalkuliert.
Solche Pläne haben sie mit den Bauernkriegs-Opfern nicht. Menschen ausstellen geht gar nicht, sagt Natascha Mehler. „Das macht man nicht.“ In Stuttgart wird es wahrscheinlich Bildinstallationen geben.