„Die erste Kugel für Kahr, die zweite für Faulhaber“

von Redaktion

München – Dem Münchner Kardinal Michael von Faulhaber (1869-1952) wird gemeinhin unterstellt, knochenkonservativ bis sogar rechtsradikal gewesen zu sein. Unlängst hat er sogar in der Buchreihe zur NS-Geschichte „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ einen unrühmlichen Beitrag erhalten (wir berichteten). Faulhabers Tagebuch-Aufzeichnungen aus dem Jahr 1923 zeichnen jedoch ein etwas anderes Bild: kritisch gegenüber dem aufkommenden Nationalsozialismus, ja sogar wagemutig, weil er öffentlich „blindem Hass gegen Juden und Katholiken“ entgegentritt.

Die Tagebücher, die Faulhaber von 1911 bis 1952 führte, werden seit 2014 Jahrgang für Jahrgang vom Institut für Zeitgeschichte München zusammen mit dem Münsteraner Seminar für Kirchengeschichte veröffentlicht. Mittlerweile sind 31 der insgesamt 42 Jahrgänge online – langsam wird das Bild über Faulhaber also dichter. Der Jahrgang 1923 gewährt insbesondere neue Sichtweisen auf die Tage nach dem Hitlerputsch, als Faulhaber heftigen Anfeindungen ausgesetzt war.

In Bayern hatte sich die Lage seit Herbst 1923 zugespitzt, als der Regierungspräsident von Oberbayern, Gustav von Kahr, zum neuen bayerischen Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten ernannt wurde. Putschgerüchte schwirrten durch die Luft, schon am 5. November notierte Faulhaber in sein Tagebuch: „Es soll auf den 8. November großer Reichsputsch kommen (…) Kahr-Ludendorff Diktatoren von Deutschland.“ Am Tag zuvor warnte Faulhaber in seiner Allerseelenpredigt: „Mit blindem Hass gegen Juden und Katholiken (…) werden keine Wunden geheilt.“

Am Putschtag selbst (8. November) weilte Faulhaber, während Hitler im Bürgerbräukeller die „nationale Revolution“ ausrief, nicht weit entfernt im Hotel Wagner in der Sonnenstraße. „Regierung gestürzt. Auf dem Heimweg war es noch ziemlich ruhig auf den Straßen“, notierte er ins Tagebuch. Am nächsten Tag erhielt Faulhaber mehrere Warnungen – denn viele Hitler-Anhänger führten die Weigerung Kahrs, beim Putsch mitzumachen, auf eine katholische Verschwörung zurück. Ein Domkapitular, den Faulhaber sprach, „ersuchte mich, wegzugehen“, schrieb er über ein Gespräch. Ähnliches hörte er vom Generaldirektor des katholischen Pressevereins: „Dringend bittet er mich, wegzugehen, es seien zum Teil die gleichen Elemente wie 1918.“ Man befürchtete Straßenunruhen. Der Sohn von Ellen Ammann (Katholischer Frauenbund), die aktiv an der Niederschlagung des Putsches mitwirkte, überbrachte einen Brief seiner Mutter. Sie riet Faulhaber, sich „zurückzuziehen“, da nun ein „Endkampf“ zwischen Putschisten und den Gegnern drohe. Als der Putsch nach der Schießerei am Odeonsplatz gescheitert war, rumorte es vor allem unter nationalistischen Studenten. Sie warfen Kahr Verrat vor. „Gestern in der Universität Versammlung gegen mich (…) Schreie: Nieder mit Kahr, nieder mit Faulhaber.“ Im Odeon, einer Veranstaltungsstätte, hörte ein Informant eine Rede: „Die erste Kugel für Kahr, die zweite Kugel für Faulhaber.“ Hinzu kamen Attacken auf das Erzbischöfliche Palais: „Im Keller ein paar Fenster eingeworfen. Natürlich Schmähbriefe.“ Trotzdem blieb Faulhaber in jenen unruhigen Tagen in München – er wich nicht. Die Tagebuch-Edition wird nun mit den vermeintlichen „ruhigen“ Weimarer Jahren 1924-1929 fortgesetzt. DIRK WALTER

Die Tagebücher

www.faulhaber-edition.de

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