Steuererklärung – das ist Alltagskompetenz

von Redaktion

Kultusministerin Stolz über neue Fächer, Gender-Verbote und ihr Herzensanliegen Inklusion

Anna Stolz (40), Juristin, verheiratet, keine Kinder, war fünf Jahre Staatssekretärin im bayerischen Kultusministerium. Nun leitet sie das Riesenhaus als Nachfolgerin von Michael Piazolo. Sie will die Vermittlung von Alltagskompetenzen im Schulunterricht stärken, sagt sie im Interview – schränkt aber ein, Schule sei „kein Reparaturbetrieb“ für Fehlentwicklungen in der Gesellschaft.

Frau Ministerin, die Koalition hat die Einführung einer Verfassungsviertelstunde beschlossen. Kann das hilfreich sein gegen das Erstarken der AfD?

Die Ergebnisse der AfD finde ich persönlich erschreckend. Schule hat eine Schlüsselfunktion und ich weiß, dass das Engagement der Lehrkräfte bei der politischen Bildung, der Demokratieerziehung und der Wertebildung schon jetzt enorm hoch ist. Gleichwohl werden wir unser Engagement noch weiter verstärken. Da ist die Verfassungsviertelstunde ein Beitrag. Gleichzeitig will ich aber auch klarstellen, dass Schule kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Probleme sein kann.

Warum kommt die Verfassungsviertelstunde erst 2024/25?

Mir ist es wichtig, ein gemeinsames Konzept mit der Schulfamilie zu entwerfen. Mit mir wird es keine Schnellschüsse geben. Wir planen die Vorstellung des Konzepts im Frühsommer 2024, um es dann im neuen Schuljahr an allen Schularten in geeigneter Form einzuführen.

An allen Schularten? Macht eine Verfassungsviertelstunde in der Grundschule überhaupt Sinn?

Ja. Natürlich werden wir uns in der Grundschule weniger die einzelnen Verfassungsartikel anschauen. Es geht darum, Demokratie zu erfahren. Was ist Demokratie, was ist Mitbestimmung? Da geht es um die SMV, den Klassensprecher, den Klassenrat an den Grundschulen – um das frühe Heranführen an demokratische Prozesse.

Sie sind Dienstherrin über 100 000 Lehrer, haben aber keinen Staatssekretär. Fühlen Sie sich benachteiligt?

Ich bedauere das. Ich möchte aber weiterhin viel Präsenz zeigen in den Schulen. Der offene Austausch mit der Schulfamilie ist ganz entscheidend für meine Arbeit und ich bin optimistisch, dass wir das hinbekommen. Wir werden neue Gesprächsformate anbieten – Zukunftswerkstätten für Bildung. Es wird in allen Regionen in den nächsten Monaten moderierte Foren geben, um über Bildung zu reden.

Zu den Vorhaben der Koalition zählt auch, Alltagskompetenzen als neues Schulfach anzubieten. Lehrer protestieren schon.

Alltagskompetenzen werden seit 2021/22 schon als Projektwochen angeboten. Mein Ziel ist es, dass die Kinder am Ende der Schulzeit ihre Talente kennen, fest in Werten verwurzelt sind und sich in der Arbeits-, aber auch in der Lebenswelt gut zurechtfinden.

Muss Schule auch lehren, wie man eine Versicherung abschließt und eine Steuererklärung ausfüllt?

Auch das kann man zu Alltagskompetenzen zählen, ja.

Das könnte man doch in Wirtschaft & Recht machen.

Ja, vieles wird bereits in etablierten Fächern umgesetzt.

Wenn man ein neues Fach schafft, stellt sich die Frage, ob man woanders streicht. Sonst wird es zu viel.

Das ist richtig. Deshalb erarbeiten wir mehrere Varianten zur Alltagskompetenz, die wir mit der Schulfamilie diskutieren müssen. Klar ist: Immer wenn von der Schulfamilie ein zusätzliches Engagement gefordert wird, werde ich sehr intensiv prüfen, wie wir an anderer Stelle entlasten.

Eines Ihrer Anliegen ist die Inklusion behinderter Kinder. Wollen Sie die Inklusion in Regelschulen verstärken?

Ich will die Inklusion generell verstärken. Wir gehen in Bayern einen Weg der Vielfalt – die Förderschulen und Förderzentren wird es natürlich weiter geben und wir werden sie stärken. Wir müssen weitere Ressourcen in die Inklusion geben.

Mehr Geld?

Mehr Stellen. Wir brauchen mehr Stellen an den Schulen, aber wir brauchen auch systemische Stellen, also mehr Personal für Beratung. Wir müssen auch in der Lehrerbildung Inklusion stärker verankern. Wir müssen unsere Lehrer befähigen, Inklusion an den Schulen auch zu leben, da muss die Ausbildung in meinen Augen noch stärker ansetzen.

Was halten Sie von einem Gender-Verbot wie in Hessen?

Wir folgen den Vorgaben des Rats der deutschen Rechtschreibung. Dort werden Gendersternchen und andere Genderzeichen nicht als Kernbestandteil der Rechtschreibung anerkannt. Wenn es ein Kind trotzdem macht, wird es nicht als Fehler gewertet, aber markiert. Das ist also ein pragmatischer Umgang mit dem Thema.

Das Gespräch führten Dirk Walter und Mike Schier

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