An diesem Wochenende ist Totensonntag. Er heißt auch Ewigkeitssonntag, was mir lieber ist – aus der Überzeugung heraus, dass mit dem Tod zwar die irdische Existenz beendet, aber das Leben nicht vorbei ist. Ein tröstlicher Glaube, die liebsten Menschen und sich selbst für immer und über alle Grenzen hinweg gut aufgehoben zu wissen. Aber selbst wenn man mit dieser Hoffnung lebt, ist es unendlich schwer, Abschied zu nehmen.
Am letzten Sonntag im Kirchenjahr wird in den Gottesdiensten noch einmal all der Kinder, Männer und Frauen gedacht, die im vergangenen Jahr gehen mussten. Ihre Namen werden vorgelesen – denn jeder und jede ist ein unverwechselbares, kostbares Individuum. Viele Menschen nehmen sich die Zeit, allein oder mit der Familie auf Friedhöfe zu gehen und auch denen Ehre und Zuneigung zu erweisen, die schon länger verstorben sind. Das bedeutet für die meisten keine Pflicht, sondern eine Wohltat für die eigene Seele.
Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Das tut sie eben nicht. Es bleiben allemal Narben zurück – und Trauer verschwindet nicht. Niemals. Sie wandelt sich nur. Allerseelen Anfang November, der Ewigkeitssonntag kurz vor dem ersten Advent – das sind Tage, die eine Gesellschaft braucht, um sich auf den Wert eigenen und fremden Lebens zu besinnen. Es sind Tage, an denen man Zeit den Menschen widmet, die einem fehlen – und sorgsam das Bewusstsein wachhält, dass auch die eigenen Tage ein Ende haben.
Zu den existenziell wichtigsten Aufgaben von Pfarrern und Pfarrerinnen gehören Trauerfeiern. Ein menschliches Leben ist dahin, andere bleiben mit Kummer zurück. Voll Weh und Ach, manchmal mit Schuldgefühlen und dem Gedanken „ach hätte ich nur …“. Auch mit der aufrichtigen Dankbarkeit, dass ein Mensch von seinem Leiden erlöst ist und nicht weiter ertragen muss, was so schwer war. Ich denke an viele Beerdigungen, die ich gehalten habe und halte.
Mütter, Väter, Großeltern, Kinder, Freunde, Kolleginnen, Nachbarn, ganz unbekannte Menschen und solche von großer Prominenz … Am Ende sind sie alle gleich. Und ein Satz aus einer unserer Liturgien ist von besonderer Bedeutung: „Wir vertrauen deiner Gnade an, wen du als Nächsten aus unserer Mitte abberufen wirst.“ Man kann darüber erschrecken, dass immer und mit letzter Gewissheit einer der Nächste sein wird. Dieses Erschrecken ist heilsam. Es macht weise – oder klug, wie es in der Bibel heißt.
So klug, dass man das Leben mit beiden Händen ergreift und es mit der Kraft gestaltet, die einem gegeben ist – zum eigenen Wohl und dem derer, die einem anvertraut sind. Einen guten Ewigkeitssonntag wünsche ich – mit einem weiten Blick in die Nähe und Ferne.