„Jetzt sind wir wieder da“

von Redaktion

Missbrauchs-Betroffener Kick am „Tatort Kirche“

Eichenau – Es waren die kleinen, stillen Momente, die bei der Andacht für von Missbrauch Betroffenen am Freitagabend in Eichenau (Kreis Fürstenfeldbruck) gezeigt haben, wie wichtig es ist, dass die Betroffenen in der Kirche gehört werden. Und dass ihr Leid anerkannt wird.

Als Richard Kick, der als Kind vom damaligen Kaplan Georg Pitzl schwer sexuell missbraucht worden ist, vor der Andacht in der Kirche „Zu den Heiligen Schutzengeln“ Seite an Seite neben Kardinal Reinhard Marx im Altarraum stand, zeigten sich eine Wertschätzung und eine Vertrautheit, die für die Aufarbeitung dieses schrecklichen Kapitels in der Geschichte der katholischen Kirche Hoffnung macht. Aufarbeitung kann gelingen – wenn Amtsträger sich ernsthaft den Betroffenen zuwenden und Nähe zulassen.

Marx war nach Eichenau gekommen anlässlich des Gebetstags für Betroffene sexuellen Missbrauchs, den der Papst ausgerufen hatte. „Es ist mir persönlich wichtig, an diesem Tag hier zu sein, an einem konkreten Ort, an dem es Missbrauch gegeben hat, und nicht im Dom“, sagte er unserer Zeitung.

Zuvor hatte Richard Kick, der von seiner Frau und seinem Sohn begleitet wurde, sehr offen vor der Gemeinde besprochen. „Es fällt mir schwer darüber zu sprechen, dass damals niemand da war, der mich als Kind vor dem Missbrauch beschützt oder mir geholfen hätte“, schilderte er seinen inneren Kampf. Und wie schwierig es gewesen sei, als er sich 2010 ans Ordinariat gewendet und Pitzl angezeigt habe. Dass ihm dann „mehr als zehn Jahre keinerlei Hilfe und Unterstützung zuteil wurde, nicht einmal ein seelsorgerisches Gespräch erfolgte“. Aber das war nicht das Ende der Beziehung von Kick zur Kirche: Auch sein hartnäckiges Einfordern machte es möglich, dass das Erzbistum und der Kardinal immer mehr auf die Betroffenen zugegangen sind.

Kick dankte auch ausdrücklich seiner Frau und seinem Sohn. Als er beide nach der Ansprache innig umarmt, zeigte sich, wie schwer Kick die Rückkehr an den „Tatort“ gefallen ist. Seine Frau hatte ihn in den vergangenen Tagen mehrfach gefragt: „Möchtest du dir das wirklich antun?“ Für Richard Kick war es aber wie eine Art der Befreiung von einer Last.

„Wesentlich sind die Gespräche mit den Betroffenen – die haben mich verändert. Das ist ein wichtiger Abend heute“, bekannte Marx anschließend in einer Begegnung mit den Besuchern der Andacht – darunter auch Betroffene von Missbrauch. In der geschlossenen Veranstaltung nahm er sich mehr als zwei Stunden Zeit für das Gespräch. „Der Kardinal war so offen, wie ich ihn auch noch nicht erlebt hatte“, sagte Kick gestern. Die Gespräche und Begegnungen mit Betroffenen seien „immer wieder eine sehr bewegende Erfahrung, die nicht einfach bearbeitet und weggepackt werden kann, sondern die immer weiter beschäftigt“, hatte Kardinal Marx erklärt. Es sei „ein furchtbarer Abgrund, was hier an Unheil geschehen ist“. Marx bat bei dieser Gelegenheit nochmals „um Entschuldigung für die Institution, für die ich stehe“. Es sei ein „ganz wichtiger Lernprozess“ für die Kirche und ihn persönlich gewesen, zu erkennen, wie entscheidend die Hinwendung zu den Missbrauchsbetroffenen sei, räumte er ein: „Das hätte auch schneller gehen können.“ Er versprach, dass das Erzbistum den Weg der Aufarbeitung weitergehen werde: „Ich mache das Kapitel nicht zu.“

Richard Kick zeigte sich nach der Andacht erleichtert: „Mit meiner Frau war ich an dem Ort, den wir über Jahrzehnte gemieden haben. Und jetzt sind wir wieder da.“ Die Pfarrgemeinderatsvorsitzende Hannelore Münster hat Kick anschließend um einen weiteren Austausch gebeten. Die Aufarbeitung in Eichenau, so, wie Kick es sich wünscht, hat begonnen.

Bei der Andacht war auch die grüne Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel. „Das war ein ganz wichtiger Termin für die Betroffenen vor Ort. Das zeigt: Sie sind nicht allein in ihrer Gemeinde. Sie werden getragen. Das ist das, was die Betroffenen brauchen: Solidarität und Halt.“ CLAUDIA MÖLLERS

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