Der Wächter des ewigen Eises

von Redaktion

VON CORNELIA SCHRAMM

Grainau – Lange Eiszapfen hängen von der Decke. Kristalle funkeln an den Felswänden. Aufrecht stehen kann Michael Krautblatter nicht. Gebückt geht der 46-Jährige durch den Stollen. Nur eine Stirnlampe leuchtet ihm den Weg über den spiegelglatten Boden – 60 Meter unterhalb des Gipfels des höchsten Berges Deutschlands.

Als Geologe und Geograf lehrt Krautblatter an der Technischen Universität München. Alle vier Wochen fährt der Professor zur Umweltforschungsstation Schneefernerhaus unterhalb des Zugspitzgipfels. Im siebten Stock führt der Kammstollen 800 Meter tief in den Berg hinein – dort wartet sein Projekt. 2007 hat Krautblatter Elektroden in den Wänden versenkt – heute messen 140 Stück die Temperatur des abtauenden Permafrostes im Berginneren. „Einmal im Monat messen wir acht Stunden lang“, sagt er. „Durchgehend ist das nicht möglich. Jeder Blitzeinschlag würde die Elektroden zerstören, durch die Stromstöße fließen.“

Mit den Ergebnissen lassen sich Modelle erstellen: Eine Tomografie zeigt vergleichend mit denen aus den Vorjahren die Bereiche, die noch gefroren sind – und die, die es nicht mehr sind. Der Permafrost schmilzt, und das seit Mitte der 1980er-Jahre. „In zehn bis 15 Jahren ist auf dieser Höhe alles weg“, sagt Krautblatter. In 40 bis 50 Jahren wird der Permafrost der Zugspitze komplett verschwunden sein. Dann fehlt der unsichtbare, innere Kitt. Das ewige Eis hält ja die unterschiedlichen Gesteinsarten im Berg zusammen.

Die Zugspitze ist gut überwacht. Akute Einsturzgefahr besteht laut dem Forscher erst mal nicht, anders als in anderen Regionen in den Alpen. Krautblatter und sein Team erforschen nicht nur Permafrostsysteme, sondern auch Handbewegungen und Naturgefahren wie Felsstürze und Murenabgänge.

Schon seit dem Jahr 2016 wird auch die Höllentalklamm von ihnen überwacht. Fissurometer messen Risse in Felsen – und das alle zehn Minuten. Zweimal im Jahr kommen Laserscanner zum Einsatz. Einmal im Jahr werden Felstürme per Tachymeter ausgemessen, wodurch Fallgeschwindigkeiten und Neigungswinkel von potenziell abbrechenden Felsen ermittelt werden können.

Bewegt sich ein Felsen über Nacht – etwa nach einem Gewitter – um mehr als einen Millimeter, schlägt das Frühwarnsystem der Forscher an: Die Klamm würde für Wanderer gesperrt und die kritische Stelle mit dem DAV begutachtet. „So eine Sperre gab es bisher noch nicht, aber wir haben schon zweimal einzelne Wegstücke gesperrt und über Stollen umgeleitet“, sagt Krautblatter. „Als auf den Abschnitten zwei Monate später Felsbrocken lagen, wussten wir, warum.“

Auch der Hochvogel im Allgäu wird genau erforscht. Der Berg teilt sich, so stark arbeiten die „Geschiebeherde“. Eine wichtige Erkenntnis: Starkniederschläge beschleunigen Felsstürze – und zwar um das Sechs- bis Siebenfache. Die Forscher können inzwischen auf den Millimeter berechnen, in welchem Winkel Felsen abbrechen und wo sie landen. Digitale Farbdiagramme verraten, wie groß das Sturzpotenzial einzelner Felsen ist: Rot heißt „fällt bald“, grün „hält“, gelb „hält noch“. „Am Hochvogel sind Menschen oder Gebäude nicht akut bedroht, aber Steige wie der Bäumenheimer Weg schon gesperrt“, sagt Krautblatter. „Wanderer nehmen hier Lebensgefahr in Kauf. Auf Kameraaufnahmen erkennt man, wie nur kurz nachdem jemand passiert ist, Felsbrocken herunterfallen.“ Den Weg rein vorsorglich zu sprengen, komme nicht infrage. Mehrere Millionen Euro kostet das.

Naturgefahren bedrohen in Zukunft aber nicht nur den Bergsport. Auch Straßen oder Schienen könnten zunehmend verschüttet werden. Daher hat Krautblatters Lehrstuhl für Hangbewegungen jetzt im Schneefernerhaus ihre neue Einrichtung TUM-Alpha (TUM Center for Alpine Hazards und Risks) gegründet. Das Zentrum soll Anlaufstelle für betroffene Einrichtungen wie Bergwacht, den Deutschen Alpenverein, Hüttenwirte und Bergbahnbetreiber sowie für Gemeinden und Umweltministerium sein. 50 Vertreter aus den Bereichen sowie aus der Schweiz, Tirol und Südtirol hatte Krautblatter zur Diskussion über Frühwarnsysteme eingeladen. Damit sich der Spagat zwischen Tourismus und Sicherheit trotz des Klimawandels stemmen lässt.

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