München – Es gibt das Ludwig-Thoma-Gymnasium in Prien, eine Ludwig-Thoma-Realschule in München, eine Büste in der Ruhmeshalle, viele Ludwig-Thoma-Straßen – aber vielleicht gibt es bald keine Ludwig-Thoma-Grundschule in Traunstein mehr. Die Schulleitung würde den Namen gerne tilgen und hat einen Antrag an die Regierung von Oberbayern gestellt (wir berichteten). Dort ist der Antrag auf Eis gelegt – die Behörde wartet eine Entscheidung des Bayerischen Landtags ab. Die Abgeordneten wollen über eine Petition beraten, die sich gegen die Umbenennung richtet.
Es kann also dauern. Dabei ist die Sachlage zum Antisemitismus von Thoma eigentlich seit Langem klar. Pionierarbeit leistete der verstorbene Münchner Historiker Wilhelm Volkert, der 1990 im Piper Verlag sämtliche Beiträge aus dem „Miesbacher Anzeiger“ 1920/21 dokumentiert hat. Schon nach Erscheinen des Buches tobt eine Debatte über den Umgang mit Thoma. Die Stadt München stellte die Vergabe einer Ludwig-Thoma-Medaille ein, die bis dato jährlich an Kunstschaffende und Literaten verliehen worden war. Seitdem ploppt die Debatte in unregelmäßigen Abständen immer wieder hoch.
Der erste dezidiert judenfeindliche Artikel im „Miesbacher Anzeiger“ erschien am 17. Juli 1920 unter der unmissverständlichen Überschrift „Antisemitisches“ – Thoma erging sich in Tiraden über die angeblich „jüdische Presse“. Zwei Wochen später, am 31. Juli 1920, erschien der nächste Artikel über die SPD-Zeitung „Münchner Post“, die nach Ansicht des Dichters den toten Ludwig Ganghofer beleidigt hatte: „Sein Maul hat der Schmuhl zu halten“, geiferte Thoma. Ab dann lieferte Thoma, seit 1908 schon in Tegernsee auf der Tuften wohnhaft, in rascher Abfolge und immer anonym Artikel an sein Leib- und Magenblatt. Nicht alle der insgesamt 180 Artikel waren hetzerisch, aber viele. Es ging nicht nur gegen die „stinkende(n), seit 10 Generationen ungewaschene(n) und verlauste(n) Ostjudenbande“, auch gegen die SPD, gegen Kommunisten („Sowjetjuden“), gegen diese „kleinen, rachitischen, verkrüppelten Schreier“. Den ehemaligen deutschen Finanzminister Erzberger – kein Jude – schmähte er als „Lump“; kurz darauf wurde dieser von zwei rechtsradikalen Studenten ermordet. Er hetzte gegen den USPD-Abgeordneten Karl Gareis – der in München erschossen wurde.
„Dass seine Artikel einen militanten Charakter hatten und seinem Motto ,Dreinhauen, daß die Fetzen fliegen’ treu geblieben sind, dass er einen menschenverachtenden Antisemitismus das Wort redete“, so der Miesbacher Autor Franz-Josef Rigo, „daran besteht kein Zweifel“. Nicht allein die Revolution in Bayern 1918/19 hatte Thoma entsetzt, seine Wandlung vom linksliberalen Spötter aus der „Simplicissimus“-Zeit zum deutschnationalen Agitator setzte deutlich früher ein. Mit Kriegsbeginn im August 1914 wurde Thoma – wie so viele – zum unbekümmerten Kriegsdichter und -verherrlicher. Als Sanitäter sah er die Front in Galizien und Russland, als der Kaiser vorbeikam, schwenkte er „heftig mit Hurra meine Mütze“, wie er an seine damalige Ehefrau Marion schrieb. Zurück in der Heimat, frönte er einem unbekümmerten Hurra-Patriotismus. Er rief zur Unterzeichnung von Kriegsanleihen auf, trimmte den „Simplicissimus“ auf Kriegskurs und unterzeichnete am 2. Oktober 1917 als „Promi“ einen Aufruf zur Gründung eines bayerischen Ablegers der „Deutschen Vaterlandspartei“, die für die damals sogenannten Annexionisten trommelte, also trotz Millionen von Toten einen unbedingten Siegfrieden herausschinden wollte. Oft zu lesen, aber falsch: Dass Thoma erst durch sein Krebsleiden bösartig geworden ist: Den Magenkrebs spürte der exzessive Raucher und Kaffeetrinker, so weist Rigo anhand von Briefen nach, erstmals um die Jahreswende 1920/21.
Rigo weist auch daraufhin, dass im „Miesbacher Anzeiger“ nicht nur Ludwig Thoma Hetzartikel veröffentlichte. Das Blatt öffnete sich unter dem Redakteur Klaus Eck auch für frühe Nationalsozialisten. Hitlers Mentor Dietrich Eckart platzierte Artikel. Der Münchner Historiker Paul Hoser hat einen Artikel des bedingungslosen Hitler-Anhängers und bösartigen Antisemiten Hermann Esser vom 19. November 1921 gefunden. Thoma war da (am 26. August 1921) schon gestorben – in seinem Nachlass fand man einen (freilich unbeantwortet gebliebenen) Brief des Tegernseer NSDAP-Ortschefs, der Thoma die Mitgliedschaft bei den Nazis nahelegte.
Brief der NSDAP im Nachlass