München – Andreas Roß hat einen bescheidenen Wunsch: Er möchte, dass seine Frau gut gepflegt wird, dass es ihr im Heim gut geht. Umso dankbarer war er vor gut drei Jahren, ein hervorragendes Heim in Augsburg für sie gefunden zu haben. Er wollte ein Zimmer mit Gartenblick, das gab es nur noch als Zweibett-Zimmer. Seine Frau bewohnt es allein. Der Preis war es ihm wert, dass sie das große Fenster hat. Doch die Kosten für das Heim steigen und steigen. Noch vor ein paar Monaten musste Roß 6194 Euro dafür bezahlen, inzwischen sind es schon rund 6600 Euro. Die Pflegeversicherung übernimmt davon gerade einmal 1775 Euro.
Der 71-Jährige hat sein Leben lang gearbeitet. Trotzdem könnte er bald auf Sozialhilfen angewiesen sein, wenn alle Rücklagen aufgebraucht sind. Sie schmelzen Monat für Monat dahin. Für die Pflege seiner Frau gehen beide Renten komplett drauf, alles andere, was er zum Leben braucht, muss er aus seinen Ersparnissen finanzieren. Und er ist Realist genug, um sich auszurechnen, dass die Preise weiter steigen werden. Andreas Roß hat niemanden, mit dem er über diese Sorgen sprechen kann – außer die anderen Angehörigen im Heim.
Denn seine Sorgen teilen fast alle Menschen, die für sich selbst oder einen Angehörigen auf Pflege angewiesen sind. In den vergangenen Wochen sind sie per Post informiert worden, dass die Kosten weiter steigen werden. Die Gründe dafür sind die gestiegenen Kosten für Lebensmittel und Energie, aber auch die Lohnerhöhungen für die Pflegekräfte. Beides wird von den Einrichtungen direkt an die Pflegebedürftigen weitergegeben. Schon Anfang Juli waren die Zuzahlungen für die Pflege im Heim regelrecht in die Höhe geschossen, nun werden die Kosten rückwirkend ab Oktober noch einmal erhöht. Der Sachleistungsbetrag hingegen wird ab Januar lediglich um fünf Prozent steigen, erklärt Yvonne Knobloch, Ressortleiterin Leben im Alter beim Sozialverband VdK. Die Preissteigerungen werden dadurch kaum abgefangen. Pflege wird dadurch für noch mehr Menschen immer unbezahlbarer. Schon jetzt erreichen den VdK viele Hilferufe deswegen, berichtet Knobloch. Und das betrifft nicht nur die Pflege in Heimen, sondern auch ambulante Pflegedienste. Sie fürchtet, dass viele Betroffene künftig genau überlegen, welche Pflegeleistungen sie noch in Anspruch nehmen können oder wollen. „Der Druck auf die Angehörigen wird dadurch noch größer“, prognostiziert sie.
Schon jetzt können sich laut Biva-Pflegeschutzbund knapp 40 Prozent der Heimbewohner die Versorgung ohne staatliche Hilfe nicht mehr leisten. Das belegen auch die Zahlen des Bezirks. In Oberbayern waren im September rund 17 600 Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen. Ein halbes Jahr vorher lag die Zahl noch bei 14 600. In den Heimen der Caritas in Oberbayern empfängt mittlerweile knapp jeder dritte Bewohner Sozialhilfe, berichtet Doris Schneider, die Geschäftsführerin der Caritas-Heime der Erzdiözese München und Freising. Die Caritas verhandelt seit Wochen mit den Kostenträgern, den Pflegekassen und dem Bezirk über die Preiserhöhungen. Im Heim St. Rita in Oberhaching zahlt ein Bewohner aktuell 2300 Euro, der neue Preis liegt bei 3100 Euro. In der höchsten Pflegestufe 5 würde der Preis von 5700 auf 6500 Euro steigen.
Der Sozialverband VdK fordert – ebenso wie der Bayerische Bezirkstag – schon lange, die Pflegeversicherung in eine Pflegevollversicherung umzubauen. Dadurch würde der Eigenanteil der Pflegekosten auf einen fixen Betrag eingefroren werden. Ursprüngliches Ziel der Pflegeversicherung war es, dass die, die ihr Leben lang gearbeitet haben, wegen Pflegebedürftigkeit nicht auf Sozialhilfen angewiesen sind. Ein Ziel, das immer unrealistischer wird. „Wir müssen die Pflege neu denken“, sagt Yvonne Knobloch. „Das jetzige System hat keine Zukunft.“
Andreas Roß aus Augsburg hat sich inzwischen mit den anderen Angehörigen im Heim zusammengetan und einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geschrieben. „Der Eigenanteil in der Pflege lässt sich mit einer normalen Rente nicht mehr finanzieren“, schreiben sie. Das führe auch dazu, dass viele Heime nicht mehr voll belegt sind, wodurch die Heime mit noch mehr finanziellen Lücken zu kämpfen haben. „Wir bitten Sie inständig, lassen Sie es nicht zum Kollaps in der Pflege kommen“, appellierten die Augsburger an Lauterbach. Den Brief haben sie vor fünf Wochen verschickt. Eine Reaktion bekamen sie nicht.