Starnberg – Taktik ist wichtig, im Sport wie in der Justiz. Der frühere Torhüter der Fußballnationalmannschaft, Jens Lehmann (54), wohnhaft in Berg, entschied sich am Freitag vor dem Starnberger Amtsgericht für Angriff. Er kritisierte die Staatswaltschaft scharf: „Das wird hier doch nur so groß aufgezogen, weil ich mal Fußball gespielt habe und mich so viele Leute kennen“, sagte er. „Das grenzt hier an Rufmord, und das ist vielleicht noch schlimmer als Mord.“ Staatsanwalt Stephan Kreutzer konterte kühl: „Die Staatsanwalt sieht bei Ihnen schon, dass Sie glauben, bei kleineren Dingen im unteren Strafbereich über dem Gesetz zu stehen.“
Die Anklageschrift umfasste mehrere Delikte. Zum einen Beleidigung: Lehmann hatte zwei Beamte, die seinen Führerschein wegen eines einmonatigen Fahrverbots kassieren wollten, als „Lügner“ tituliert. Außerdem hatte er sich zwei Mal am Flughafen München die Parkplatzgebühr erspart, indem er sich an die Stoßstange eines Vordermanns hängte und mit durch die Schranke fuhr. Drittens soll er im Juli 2022 das Grundstück seines Nachbarn betreten und in dessen Garage, um die es Streit gab, eine Dachgaube angesägt haben. Auch eine junge Birke musste dran glauben. Mit anderen Worten: Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Sachbeschädigung. „Das geht in Richtung Selbstjustiz und in diesem Punkt sind wir sehr empfindlich“, sagte der Staatsanwalt. „Das Gewaltmonopol hat allein der Staat.“
Der Ex-Keeper, der als Berufsbezeichnung „arbeitssuchender Fußballtrainer“ angab, äußerte sich so: „Ich stehe mit meinem Nachbarn im guten Austausch und wollte für ihn nur die Hecke schneiden.“ Bei dem Anwesen handelt es sich um das Ferienhaus des Architekten Walter Winkelmann (92). Dass es Streit gab, bestritt Lehmann nicht: Eben deshalb habe er ja den ersten Stock betreten. „Ich wollte sehen, ob er da oben einen Aufenthaltsraum einbaut. Das ist nämlich verboten.“ Mit der angesägten Gaube habe er nichts zu tun.
Laut Winkelmann sei der Konflikt mit Lehmann, den er „meinen lieben Nachbarn“ nannte, seit Bau der Garage 2021 eskaliert: „Der Briefwechsel war lebhaft und umfasst sechs Kilo an Leitzordnern.“ Dass er den Nachbarn gebeten habe, die Hecke zu schneiden oder gar die Birke, war ihm nicht erinnerlich. Im Übrigen sei der Streit aus der Welt geschafft. Lehmann habe sich zu einer Zahlung von 60 000 Euro bereit erklärt.
Dass der Nachbar deshalb seinen Strafantrag zurückgezogen hat, spielt für den Prozess eine untergeordnete Rolle. Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse der Sachbeschädigung bejaht. Es wird weiterverhandelt. Nur der Vorwurf des Hausfriedensbruchs ist hinfällig.
Von Lehmann in der Garage gibt es zwei Videos. Laut Staatsanwaltschaft wusste er um die Kamera. Er riss das Kabel heraus. Aber sie lief per Batterie kurz weiter. Richterin Tanja Walter ließ die Videos einspielen. Auf dem ersten sieht man, wie Lehmann stoppt und den Kopf Richtung Dachgaube hebt. Im zweiten erscheint er mit Kettensäge und setzt an der Stelle an, die später angesägt war. „Das ist mein Mandant, das räumen wir ein“, erklärte Anwalt Christoph Rückel. „Aber man sieht keine Tat.“
Der Anwalt stellte die Frage, was zwischen dem Zeitstempel des Videos (11.50 Uhr) und Eintreffen der Polizei (15 Uhr) passiert war? Gibt es jemanden, der das Video kannte und die Dachgaube ansägte, um Lehmann etwas anzuhängen? Der Prozess wird am 22. Dezember fortgesetzt. VOLKER UFERTINGER