München – Die Anzeige könnte kaum bissiger sein. „AOK-versichert? Macht nichts! Wir behandeln Sie trotzdem … solange wir noch können!“ Und dann steht da noch: „Denn die AOK Bayern weigert sich, die Kosten für zahnärztliche Behandlungen vollständig zu übernehmen.“ Unterzeichnet ist die Annonce, die am Wochenende in fast allen Tageszeitungen im Freistaat erschienen ist, von den bayerischen Vertragsärzten. Das sind fast alle Zahnärzte – nämlich 98 Prozent.
Das Inserat ist Ausdruck eines länger schwelenden Konflikts, der sich zum Jahresende noch einmal zuspitzt. Und zwar gewaltig. Auf der einen Seite steht die AOK Bayern, mit 4,6 Millionen Versicherten mit Abstand die größte gesetzliche Krankenkasse im Freistaat. Auf der anderen Seite die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayern (KZVB).
Es geht um Geld. Und um eine dramatische Ansage der KZVB, die als Selbstverwaltungsorgan alle Finanzfragen der rund 10 000 Zahnärzte in Bayern regelt. Versicherte der AOK Bayern müssen sich nach Einschätzung der KZVB auf längere Wartezeiten einstellen, heißt es. Bei der AOK Bayern werde dieses Jahr das Budget für die Behandlung der Patienten „massiv überschritten“, erklärte die KZVB. Die zahnmedizinische Versorgung von AOK-Patienten sei deshalb „akut gefährdet“.
AOK und KZVB hatten sich in Verhandlungen nicht einigen können, um wie viel das Honorarvolumen angehoben werden soll. Deshalb hat ein Schiedsamt vorige Woche entschieden, dass die Bezüge um 2,7 Prozent steigen. Vorher hatte die Bundesregierung die Vorgabe gemacht, dass die Ausgaben der Kassen nicht stärker anwachsen dürfen. Die Steigerung um 2,7 Prozent reiche jedoch „nicht einmal annähernd für einen Inflationsausgleich“, kritisierte KZVB-Chef Rüdiger Schott.
Die AOK Bayern hingegen verweist darauf, dass die Anhebung um 2,7 Prozent den gesetzlichen Vorgaben der Bundesregierung entspreche. Das habe auch das unabhängige Schiedsamt so gesehen, erklärte eine Sprecherin. Die AOK erfülle also ihre vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen. Die Kasse erwarte deshalb von der KZVB, dass auch sie „ihrer gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtung“ nachkomme, die Behandlung aller Kassenpatienten sicherzustellen.
KZVB-Sprecher Leo Hofmeier betont: „Es wird kein AOK-Versicherter abgewiesen“, alle notwendigen Behandlungen würden durchgeführt. Doch die Zahnärzte werden sich wohl überlegen, ob sie reguläre Termine an AOK-Patienten vergeben. Und das wird voraussichtlich auch noch im neuen Jahr so sein.
In einem Schreiben der KZVB an die Vertragsärzte vom 5. Dezember, das unserer Zeitung vorliegt, heißt es: „Sie müssen nun selbst entscheiden, welche Behandlungen Sie bei AOK-Versicherten durchführen.“ Und: „Sollten Ihre Behandlungskapazitäten ausgeschöpft sein, müssen Sie keine neuen Patienten annehmen oder Termine für planbare Behandlungen vergeben.“ Die KZVB macht den Medizinern auch klar, dass es am Ende sie selbst sind, die bezahlen, wenn sie weiterhin AOK-Patienten behandeln. „Ihre Auszahlung wird dann um den entsprechenden Betrag gekürzt.“ Dem Schreiben liegt außerdem noch ein Handzettel bei – für einen Kassenvergleich.
Weil die AOK einen Marktanteil von rund 40 Prozent habe, mache der Honorarkonflikt der Zahnärzte mit der Marktführer-Kasse die Versorgung insgesamt schwieriger, warnte KZVB-Vize Marion Teichmann. Sie erwartet, dass immer öfter Praxen geschlossen werden. Das werde vor allem ländliche Regionen treffen, weil dort der Marktanteil der AOK oft besonders hoch sei. Klartext: Weil die Behandlung von zu vielen AOK-Patienten ein finanzielles Risiko ist.
Tatsächlich ist die Versorgung mit Zahnärzten auch in Oberbayern mancherorts schon jetzt kritisch. KZVB-Sprecher Hofmeier bekommt immer wieder Hilferufe, neulich etwa aus der 10 000-Einwohner-Gemeinde Ainring im Berchtesgadener Land. Dort hört der langjährige Zahnarzt Ende 2024 auf – mit 70 Jahren. „Er sucht schon seit Längerem einen Nachfolger und findet niemanden“, schreibt der Ainringer Geschäftsstellenleiter. Es gebe zwar noch zwei weitere Zahnärzte in der Gemeinde, aber diese könnten die fast 3000 Patienten nicht noch zusätzlich aufnehmen.
Der Zahnarzt hört mit 70 auf – es gibt keinen Nachfolger