Innsbruck – Petra M. war mit ihrem Mann Jürgen ins Stubaital gereist, um dort ihren Hochzeitstag zu feiern. Die beiden Nordrhein-Westfalen sind erfahrene Wanderer. „Wir halten uns an die Regeln und wissen, wie man mit den Tieren umgehen sollte“, sagt die 65-Jährige. Doch die Wanderung in Mieders wurde für sie zum Albtraum.
Im Juli vergangenen Jahres fuhr das Paar mit der Seilbahn hinauf auf das Koppeneck und wanderte über den Pilgerweg zum Kloster Maria Waldrast und weiter Richtung Ochsenhütte. Auf dem Weg sahen sie eine Herde mit drei Kühen und einigen Jungtieren. Aus Respekt vor den Tieren hielten die beiden Abstand, die Kühe zogen in den Wald, die beiden gingen langsam weiter. „Dann rannte eine Kuh wie ein Stier aus dem Wald“, erinnert sich Petra M. Sie versuchte noch, auf die Seite zu springen, doch sie hatte keine Chance mehr. Die 600 Kilo schwere Kuh schleuderte die 65-Jährige in den Graben und stürzte auf sie. Immer wieder hämmerte das Tier mit dem Schädel gegen den Kopf der Frau. „Ich dachte, ich muss sterben“, erinnert sich M. Ihr Mann musste hilflos dabei zusehen, hörte ihre Schreie. Er fand einen Stecken und vertrieb das Tier damit. Dabei wurde der 73-Jährige ebenfalls von der Kuh verletzt. Allerdings nicht so schwer wie seine Frau.
Petra M. wurde mit einem Rettungshubschrauber in die Uniklinik Innsbruck geflogen. Ihr Mann Jürgen wartete in der Notaufnahme. Ohne zu wissen, wie schwer die Verletzungen sein würden. „Er fürchtete, dass ein Arzt ihm gleich sagen würde, dass seine Frau gelähmt ist. Oder sogar tot“, sagt Petra M. Doch die 65-Jährige hatte großes Glück. Sie hatte sich bei dem Kuh-Angriff weder Brüche noch innere Verletzungen zugezogen. Dafür aber schwere Prellungen, Schnitte, Quetschungen und Abschürfungen. „Dass ich nicht im Rollstuhl gelandet bin, verdanke ich wohl meinem Rucksack, der das Gewicht der Kuh dämpfte“, sagt sie.
Die Klinik riet ihr dazu, Anzeige zu erstatten – auch wegen der Versicherungsfragen. Der Fall ging an die Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren wurde aber eingestellt. Es sei nicht zu ermitteln, wem das Tier gehört, lautete die Begründung. Es gebe außerdem ausreichend Schilder, die auf die Tiere im Wandergebiet hinweisen. Frühere Vorfälle seien nicht bekannt, deshalb liege kein strafbarer Tatbestand vor.
Petra M. erinnerte sich, dass die Kuh, die auf sie losgegangen war, ein fast rosafarbenes Fell hatte, eine andere war grau. Das deutet darauf hin, dass es sich um eine Herde von Charolais-Kühen handelt. Sie und ihr Mann recherchierten und fanden heraus, dass es in dem Gebiet immer wieder zu Kuh-Attacken kommt. Insgesamt sind seit 2021 mit ihrem Fall schon sieben Angriffe dokumentiert. „Wieso wird nichts unternommen?“, fragten sie sich. Und warum dürfen die Tiere in dem Waldgebiet, in dem so viele Wanderer unterwegs sind, frei herumlaufen, wenn bekannt ist, dass sie gefährlich sind? Petra M.s Fall blieb nicht der letzte: Im Juni dieses Jahres wurde ein einheimisches Kind verletzt. Die Fünfjährige war mit einem Begleiter beim Wandern. Auch sie wurden von einer Gruppe von Kühen mit hellem Fell attackiert. Laut Polizei handelte es sich nicht um Mutterkühe. Die Tiere griffen das Mädchen plötzlich an. Den Angriff hat sie vermutlich nur überlebt, weil ihr 53-jähriger Begleiter dazwischenging. Auch er wurde verletzt. Die beiden gingen unter Schock blutüberströmt weiter. Erst als sie am Haus der Mutter des Mädchens ankamen, brachen sie zusammen.
Die Vorfälle haben nun ein juristisches Nachspiel. Petra M. hat sich entschieden, gegen den Erben eines inzwischen verstorbenen Hirten und die Agrargemeinschaft zu klagen. Sie fordert 10 000 Euro Schadensersatz. Vor allem will die 65-Jährige aber dafür kämpfen, dass sich so ein Vorfall nicht wiederholt. Auch die Mutter des verletzten Mädchens sagte vor dem Landgericht in Innsbruck aus. Unter Tränen schilderte sie den Moment, als sie ihre Tochter blutüberströmt nach Hause kommen sah. Charolais-Kühe habe in Mieders nur ein Bauer, betonte sie. Auch er war als Zeuge geladen, bestritt aber, dass die Tiere aggressiv seien. Außerdem seien seine Kühe laut Auskunft des damaligen Hirten an dem Tag, als Petra M. angegriffen wurde, zwei Kilometer weit entfernt gewesen. Von seiner Herde gehe keine Gefahr mehr aus, betonte er. „Nachdem das Mädel verletzt wurde, habe ich die Kühe schlachten lassen.“
Ein Urteil steht noch aus. Petra M. hofft, dass Wanderer in dem Gebiet künftig keine Angst mehr haben müssen. Sie selbst hat den Kuh-Angriff noch nicht verarbeitet. Immer wieder holt er sie in Albträumen ein.