Berlin/Weilheim – Vor Ort in Weilheim war Carsten L. als netter, wenngleich etwas kauziger Fußball-Jugendtrainer des örtlichen TSV bekannt. Dabei führte der Familienvater mit zwei Kindern im Erwachsenen-Alter ein Doppelleben, arbeitete als Agent für den Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach – als Referatsleiter in der Abteilung „Technische Aufklärung“. Doch selbst das war nur ein Teil der Wahrheit: Im vergangenen Jahr soll L. zudem als russischer Spion angeheuert haben, soll geheime Unterlagen und Daten ins Putin-Reich geliefert haben. Deshalb steht der 53-Jährige seit gestern mit einem mutmaßlichen Komplizen, dem Diamantenhändler Arthur E., vor dem Berliner Kammergericht.
Kein Laptop, kein Handy, selbst Armbanduhr und eigene Stifte dürfen nicht in den Gerichtssaal. Dort sitzen die Angeklagten mit etwas Abstand nebeneinander in einer Glasbox hinter ihren Anwälten. Der 53-Jährige mit kantigem Gesicht im dunkelblauen Anzug mit hellblauem Hemd, die kurzen Haare sind leicht gegelt; der glatzköpfige Arthur E. trägt ein schwarzes, sportliches Outfit. In der Haftanstalt sollen sich die Angeklagten mit Hilfe eines Helfers schriftlich ausgetauscht haben. Der zuständige 6. Strafsenat sieht deswegen neben der Fluchtgefahr auch eine Verdunkelungsgefahr und hat den bestehenden Haftbefehl entsprechend erweitert, wie der Vorsitzende Richter Detlev Schmidt während des Prozesses mitteilte.
Offiziell wirft die Bundesanwaltschaft Carsten L. und Arthur E. (32) Landesverrat im besonders schweren Fall vor. Seit Herbst 2022 sollen L. und E. geheime Informationen an den russischen Geheimdienst FSB geliefert haben. Dafür erhielt L. wohl 450 000 Euro, sein Komplize E. 400 000 Euro. Kurz vor Weihnachten 2022 wurde L. festgenommen, E. einige Wochen später am Flughafen München. Jetzt drohen lange Haftstrafen.
Während Carsten L. bislang zu den Vorwürfen schweigt, soll sich sein mutmaßlicher Komplize umfassend geäußert haben. Aus Sicht des Verteidigers von L., Johannes Eisenberg, handelt es sich jedoch um „stark schwankende Aussagen“, der 32-Jährige sei eine „unzuverlässige Person“.
Gestern beginnt der Prozess wegen scharfer Sicherheitskontrollen mit Verzögerung. Nach knapp 20 Minuten war schon Schluss: Der Bundesanwalt unterbrach seinen Vortrag und beantragte den Ausschluss der Öffentlichkeit, weil die Anklage Angaben beinhalte, die der besonderen Geheimhaltung bedürften.
Die Verteidigung kritisierte dies scharf. „Sie sollten mit der Geheimniskrämerei aufhören“, sagte Johannes Eisenberg, Anwalt des BND-Mitarbeiters. Giuseppe Olivio, Verteidiger des mitangeklagten Geschäftsmannes, spottete: „Das, was hier geheim gehalten werden soll, ist für andere Staaten schon ein offenes Geheimnis.“
Das „offene Geheimnis“ ist laut „Spiegel“ wohl das: L. soll Daten aus den BND-Computern abgeschöpft haben. Dadurch erhielt der russische Geheimdienst FSB die Information, dass der BND in Chats der Söldner-Gruppe Wagner mitlesen konnte. Bald aber gab es nur noch Banalitäten – der FSB hatte durch Datenpakte, die L. lieferte, Wind davon bekommen, dass westliche Geheimdienste auf die Chats Zugriff hatten. So war die Wagner-Gruppe gewarnt.
Zwei Übergaben soll es gegeben haben. Eine an einem Sportplatz am Dienstort in Pullach; eine weitere in Berlin, wo L. eine Wohnung hatte. Der Geschäftsmann soll als Mittelsmann fungiert und die Dokumente bei drei Aufenthalten in Moskau dem FSB ausgehändigt haben. Eine wesentliche Rolle soll auch ein russischer Unternehmer gespielt haben. Er soll den Kontakt zum FSB vermittelt haben. Laut Anklage buchte und finanzierte dieser auch die Flugreisen des Geschäftsmannes. Gegen ihn wird gesondert ermittelt. Der Informationsfluss versiegte schnell, nachdem L. und E. die Infos geliefert hatten. Dadurch wurde der BND misstrauisch und machte sich auf die Suche nach einem möglichen Maulwurf.
51 Prozesstage sind zunächst angesetzt – bis zum Sommer 2024. mm/dpa