Maskenhändlerin Tandler packt ihre Sachen

von Redaktion

In der Urteilsbegründung tadelt die Richterin „Kriegsgewinnler und Glücksritter“ in Notzeiten

VON DIRK WALTER

München – Um 9.45 Uhr verlässt Andrea Tandler, in der Hand eine große Plastiktasche mit einigen Habseligkeiten, den Verhandlungssaal des Landgerichts München I. Sie ist kurz vorher wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt worden. Doch das Gericht setzt den Haftbefehl vorläufig außer Vollzug. Das ist bei Straftätern, sofern sie nicht wegen Mord und Totschlag verurteilt werden, allgemein üblich.

Andrea Tandler also kann nach knapp elf Monaten in Untersuchungshaft erst mal wieder heim nach München-Bogenhausen. Ihre Schwester holt sie ab. Erst in einigen Wochen oder gar Monaten wird sie zur Haft antreten müssen – sofern das Verfahren wegen einer Revision nicht neu aufgerollt werden muss.

Doch das ist eher nicht zu erwarten. Tandlers Verteidigerin Sabine Stetter äußert sich zufrieden, weil die Strafe doch „im unteren Bereich des vereinbarten Strafrahmens“ geblieben ist. Damit spielt sie darauf an, dass dem Urteil ein Deal vorausging und Richterin Andrea Wagner diesen „Strafrahmen“ auf eine Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten und vier Jahren und drei Monaten eingeschränkt hatte. Und auch die Staatsanwaltschaft äußert sich zufrieden mit dem Urteil.

Sie kann das auch sein, weil das Gericht der Anklage mehr oder minder im vollem Umfang folgt. Andrea Tandler hat bei Maskengeschäften im Februar und März 2020 massiv Steuern hinterzogen. Ihr Geschäftspartner und nach Überzeugung des Gerichts damaliger Lebensgefährte, der Gastronom Darius N., half ihr dabei. N. erhält dafür wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung drei Jahre und neun Monate Gefängnis.

Das Urteil nimmt Andrea Tandler, mit beiden Händen auf die Anklagebank gestützt, fast unbewegt auf. Sie schaut gequält, stiert bei der Verlesung der Begründung vor sich hin und schaut die Richterin erst gar nicht an. Nach einer Viertelstunde schluckt sie dann doch, unterdrückt mühsam Tränen.

Als die Corona-Pandemie im Februar und März 2020 voll ausbrach, in Bayern die Schulen schlossen und die schrecklichen Bilder aus den völlig überlasteten italienischen Kliniken – über 3000 Tote schon Mitte März – über den Fernseher flimmerten, da witterten Tandler und N. ein gutes Geschäft. Innerhalb von nur zwei Monaten verdienten sie mit der Vermittlung von Masken, die die Schweizer Firma Emix heranschaffte, fast 50 Millionen Euro. „Kriegsgewinnler und Glücksritter“ habe es damals viele gegeben, sagt die Richterin. Doch hohe Gewinne mit vielleicht moralisch zweifelhaften Geschäften zu erzielen, sei ja nicht strafbar, sondern in einer Marktwirtschaft möglich. Fast meint man allerdings, ein „leider“ bei der Richterin rauszuhören. Aber das darf sie natürlich nicht sagen. Tandler und N. würden nicht „stellvertretend“ für diese Geschäftemacher abgeurteilt, betont die Richterin Andrea Wagner weiter. Sondern wegen ganz konkreter Verstöße.

Zum Verkauf der Schutzmasken sei es nur gekommen, führt sie aus, weil Tandler ihren Namen als Politiker-Tochter einsetzte. Sie habe dabei unentgeltliche Vermittler gesucht, etwa ihre Kindheitsfreundin Monika Hohlmeier, der sie vorspiegelte, „als wolle sie in einer Notlage etwas Gutes tun“. So kam es zu den Maskengeschäften vor allem „in CDU-/CSU-geführten Bundesländern“.

Sämtliche Chat-Nachrichten – die Anklage wertete tausende auf Handys und Tablets aus – zeigten, dass Tandler die Maskendeals allein eingefädelt habe, heißt es in der Urteilsbegründung weiter. N. sei zwar dabei gewesen, aber habe als Gastronom in seinem Restaurant, so leicht spöttisch die Richterin, „bestenfalls für das leibliche Wohl“ gesorgt. N. war kein Geschäftspartner, sondern der Freund von Tandler, davon geht die Richterin aus – allen Beteuerungen der beiden zum Trotz. So sah es schon eine Steuerfahnderin, die die beiden mit der Durchsuchung ihrer Privatvilla in Grünwald im Juni 2021 überraschte, als sie gerade von einem gemeinsamen Urlaub zurückkamen. Als die Fahnderin dann eine Grafik über das aufgezogene Firmengeflecht anfertigte, verband sie die Namen Tandler und N. mit einem Herzchen.

Während zu Beginn des Prozesses Anfang Oktober noch drei große Steuervergehen angeklagt wurden, verblieben jetzt zur Verurteilung noch zwei. Der Vorwurf der Schenkungssteuer-Hinterziehung hatte sich zwar nach Ansicht des Gerichts bestätigt, Tandler und N. konnten aber durch eine nachträgliche Zahlung erreichen, dass die Anklage hier eingestellt wurde. Die gesamte Hinterziehungssumme sank so von anfangs 23,5 auf 11,9 Millionen Euro; der wirtschaftliche Schaden verringerte sich von 15,2 auf 7,8 Millionen Euro.

Auch die zunächst hinterzogene Gewerbe- und Einkommensteuer haben sie mittlerweile beglichen, sodass das Gericht eine „vollständige Schadenswiedergutmachung“ berücksichtigen konnte. Tandler habe zudem „Einsicht und Reue“ gezeigt. Und sie sei gesundheitlich angeschlagen, eine dritte Operation am Unterleib steht wohl bevor. All das waren mildernde Umstände.

Als Hauptpunkt stehen blieb die Hinterziehung der Gewerbesteuer. Die Richterin gewichtete dies bei der Verurteilung höher als die Hinterziehung der Einkommensteuer. Für ihr Gewerbe hatten Tandler und N. als Geschäftsführer der Little Penguin GmbH eine Betriebsstätte in Grünwald angegeben – obwohl die Geschäfte in München mit seinem doppelt so hohen Steuersatz eingefädelt wurden. Die „Steueroase“ Grünwald, sagt die Richterin , sei in und um München „kein Geheimnis“, viele Firmen hätten dort einen Sitz. Neben Grünwald hat nur Bad Wiessee einen gleich niedrigen Gewerbesteuersatz – und nur Kemnath, ein Dorf bei Tirschenreuth, unterpunktet das noch um zehn Prozent. Es sei „legal“, dort Geschäfte zu machen, sagt die Richterin. Doch diese Geschäfte in Grünwald habe es bei Tandler und ihrem Kompagnon gar nicht gegeben.

Durch Begleichung der Steuerschuld und der Prozesskosten werden Tandler und N. nicht verarmen. Im Prozess kam die Sprache auf eine Wohnung in der Schweiz, auf die Villa in Grünwald, auf ein erhebliches Restvermögen. Vielleicht zwei, vielleicht drei Jahre wird Tandler nach Abzug der U-Haft absitzen müssen, wenn erst die Ladung zum Haftantritt wohl Anfang nächsten Jahres eintrudelt. Danach kann sie sich als freier Mensch ihren verbliebenen Millionen widmen.

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