München – Die kleine Gemeinde Rohr in Niederbayern erhofft sich im neuen Jahr den Durchbruch für ein umstrittenes Projekt: Amazon will auf Ackerflächen in der Gemeinde, die an die A93 Pfaffenhofen-Regensburg grenzt, ein Logistikzentrum bauen. Die Bürgermeisterin und Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger unterstützen das Projekt, es locken Gewerbesteuern und Arbeitsplätze. Nur eine Bürgerinitiative kämpft noch dagegen. Die Hallen und Stellflächen würden sich auf 340 000 Quadratmeter erstrecken, also 34 Hektar. 34 Hektar entsprechen, um eine beliebte Vergleichsgröße zu bemühen, in etwa 50 Fußballfeldern.
Der enorme Flächenverbrauch ist ein Argument der BI, doch sonderlich zugkräftig dürfte es kaum sein. Denn der Flächenfraß schreitet in Bayern voran, ohne dass noch nennenswert Widerstand erkennbar ist. Nach einer kurz vor Weihnachten veröffentlichten Statistik wurden im vergangenen Jahr 2022 täglich 12,2 Hektar bebaut, versiegelt oder für Bauvorhaben irgendwie in Anspruch genommen. In den kommenden Jahren dürften es kaum weniger werden, wenn man an geplante Großprojekte denkt, sei es Amazon, sei es die in Straßkirchen/Niederbayern geplante BMW-Batteriemontage, die im Endausbau 105 Hektar verschlingen wird.
Für Holger Magel, früherer Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, bleibt der Flächenraub eine, wenn nicht die zentrale Herausforderung. Magel wirkte in den vergangenen Jahren in zahlreichen Kommissionen und Anhörungsrunden mit, die über Wege zum Flächensparen nachdachten. „Das hat alles nichts gebracht, außer vielleicht ein schlechtes Gewissen bei allen Beteiligten“, sagt er ernüchtert.
Gewiss: Es gab viele Ideen: Innenentwicklungs-Lotsen, Best-Practice-Beispiele für multifunktionale Flächennutzung (Solarmodule auf Carports beispielsweise) und sogar einen Monat des Flächensparens. Doch die Entwicklung ist, so scheint’s, nicht aufzuhalten. Magel nennt als Hauptgrund die mangelhafte Gesetzgebung. Im Bayerischen Landesplanungsgesetz wurde 2021 ein Flächenverbrauch in Bayern von nur noch fünf Hektar pro Tag lediglich als Richtgröße verankert. Auch der neue Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern bleibt dazu unverbindlich. „Wir bekennen uns zu einer deutlichen und dauerhaften Senkung der Flächenneuinanspruchnahme“, heißt es darin. Aber „die Entwicklungsmöglichkeiten“ für Wirtschaft, Wohnen, Kommunen und Infrastruktur dürften nicht eingeschränkt werden. Und beim Fünf-Hektar-Ziel sei ja auch „die tatsächliche Versiegelung“ maßgeblich.
Es kommt halt immer etwas dazwischen. Mal sind es Pläne von Logistikriesen, denen sich keine Gemeinde verschließen will, mal sind es Ziele der Energiewende. „Die aktuellen Herausforderungen“, heißt es vom Wirtschaftsministerium, verursachten nun mal Flächenbedarfe, „die wir nicht vermeiden können“. Gemeint ist der Photovoltaik-Ausbau – sprich das Anlegen von Solaranlagen auf Ackerflächen. Gut 900 Hektar Ackerfläche wurden 2022 so verbraucht – das sind 20 Prozent des Gesamtverbrauchs an Fläche.
Wenn nicht alles täuscht, könnte es künftig der Wohnungsbau sein, der den Flächenfraß weiter ankurbelt. Um dem Einbruch beim Wohnungsbau entgegenzuwirken, soll das Baugesetzbuch in einem Punkt liberalisiert werden. In Kommunen mit angespannten Wohnungsmärkten würden dann befristet auf zunächst drei Jahre lang „nahezu alle Vorschriften des Planungsrechts außer Kraft gesetzt“, wie der ehemalige Münchner Stadtdirektor Stephan Reiß-Schmidt unkt. Der „Bau-Turbo“ werde die Planungskultur unterminieren und geltende Bebauungspläne außer Kraft setzen, befürchtet der Stadt- und Regionalplaner. Und natürlich auch den Flächenfraß weiter befeuern.
Eine Bremse könnte – theoretisch – ein Volksbegehren gegen Flächenfraß sein. Doch nachdem der Verfassungsgerichtshof 2018 einen ersten Entwurf ablehnte, „ist in dieser Diskussion die Luft raus“, wie Magel sagt. In den jüngsten Stellungnahmen von Bund Naturschutz und Landesbund für Vogelschutz kommt es als Forderung gar nicht mehr vor.