Als die Tölzer Hütte entstand

von Redaktion

Haus des Alpenvereins am Schafreuter feiert 2024 Jubiläum

VON RAINER BANNIER

Bad Tölz – Mit 8700 Mitgliedern ist die Sektion Tölz des Alpenvereins mit weitem Abstand der größte Verein im Tölzer Landkreis. Das zeigt, wie viele Menschen heute das Landschaftserlebnis in den Bergen suchen. Doch der Alpenverein hat auch dramatische Zeiten durchlebt. Daran erinnert ein Doppeljubiläum: 1923 fand in Bad Tölz die Hauptversammlung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DÖAV) statt, bei der die „Tölzer Richtlinien“ verabschiedet wurden. Und 1924 öffnete in wirtschaftlich äußerst schwieriger Zeit die vereinseigene „Tölzer Hütte“.

Mit dem Tölzer Zahnarzt Walter Polscher hatte die Sektion damals einen tatkräftigen Vorsitzenden: 1920 gründete er die Bergwacht und ging 1922 in Zeiten großer Armut, politischer Wirren und galoppierender Inflation das Wagnis ein, im Karwendelgebirge den Bau einer alpinen Schutzhütte in Angriff zu nehmen.

Gegründet wurde die Tölzer Sektion bereits 1881. Bald diskutierte man Pläne, ein eigenes alpines Unterkunftshaus zu errichten. Erst sollte es am Gipfel der Benediktenwand stehen. Doch der Hauptverein (der hatte schon damals mitzureden) winkte mit Hinweis auf eine gerade kursierende Pressenotiz ab: „Auf dem Berg, wo jetzt sogar schon die Weiber zum Wildern gehen?“ Dann war der Zwiesel im Gespräch. Doch als die Stadt Bad Tölz 1907 ganz in der Nähe das „Blomberghaus“ errichtete, erschien dieser Plan nicht mehr sinnvoll.

Das konnte Polscher nicht aufhalten. Er begeisterte die Mitglieder für einen Hüttenbau unterhalb des Gipfels des Schafreuters (manchmal auch Schafreiter genannt), knapp jenseits der Tiroler Landesgrenze. Die Grundsteinlegung erfolgte am 5. Juni 1922. Welche Mühen und Strapazen dieser Bau mit sich brachte, das lässt sich heute kaum ermessen: Drei Sommer lang schleppten freiwillige Helfer mit Muskelkraft, teils mit Tragtieren das Baumaterial aus dem Rißbachtal über einen schmalen Steig die 900 Höhenmeter hinauf zum Bauplatz. Unter Aufbietung aller Kräfte konnte die Hütte trotz größter Geldnöte, Grenzschikanen und Sturmschäden auf der Baustelle am 5. Oktober 1924 feierlich eröffnet werden.

Für die Tölzer Sektion sei die Erinnerung an den Hüttenbau 1922 bis 1924 und an die Tölzer Hauptversammlung der Alpenvereine von 1923 mit den damals beschlossenen „Tölzer Richtlinien“ wichtig, betont der heutige Vorsitzende Benedikt Hirschmann. Eine Jubiläumsfeier sei „für den Herbst 2024 geplant, wenn sich der Tag der Hütteneinweihung zum 100. Mal jährt“.

Die „Tölzer Richtlinien“ von 1923 sind bis heute hoch aktuell: Als Naturschutzorganisation bekannte man sich dazu, die Hütten durch Komfortverzicht vor einem Massenansturm zu bewahren. Man wollte im schutzwürdigen Gebirge nur die wirklichen Bergfreunde, aber kein hippes Partyvolk sehen. Darüber streitet man bis heute. Es sei gewollt, dass der Gast in den Bergen „durch Konsumverzicht die intensive Erfahrung machen kann, dass dort Wasser, Strom, Wärme und Lebensmittel keine Selbstverständlichkeiten sind“, heißt es im DAV-Jahrbuch 2023.

Bei besagter DÖAV-Hauptversammlung 1923 wurde aber auch wieder über den Ausschluss von Juden aus der Organisation gestritten: Vereinsfunktionäre vornehmlich aus Wien hatten nämlich bereits lange vor 1933 ihre völkisch-nationalistische und antisemitische Gesinnung in den Alpenverein getragen: In der habsburgischen Vielvölkermetropole Wien haben AV-Sektionen bereits 1905 und 1907 (!) einen „Arierparagraphen“ zum Ausschluss von Juden in ihre Satzungen geschrieben.

Deren Wortführer, Vorstand Eduard Pichl von der Sektion Austria (er war auch ein prominenter Alpinist und Erstbegeher der Dachstein-Südwand und Langkofel-Nordkante), vergiftete mit seiner Hetze gegen Juden seit Jahren das Vereinsklima und trieb mit fanatischem Eifer die „Reinigung von jüdischem Einfluss“ im gesamten Alpenverein voran. Zahlreiche reichsdeutsche Sektionen hielten lange Zeit dagegen: Bei der Tölzer Versammlung konnten sie mit 677 gegen 844 Stimmen noch einmal eine entsprechende Satzungsänderung verhindern. Doch 1924 kam es bei der Hauptversammlung in Rosenheim und einer außerordentlichen Vollversammlung in München zum Dammbruch. Die Antisemiten um Eduard Pichl erreichten die erforderliche Dreiviertelmehrheit zum Vereinsausschluss von Juden.

Die Vereinnahmung des Bergsteigens durch die Nationalsozialisten war kein Zufall: Allzu gut ließen sich alpinistischer Eroberungsdrang und die Heldendramen am Eiger und Nanga Parbat vom NS-Regime für ihre Ideologie von der überlegenen Rasse und für Kriegspropaganda nutzen. 1945 wurde der DÖAV von den Alliierten verboten und sein Vermögen beschlagnahmt. Eine Neugründung als „Deutscher Alpenverein“ erfolgte 1950. Erst 1988 erschien eine Dokumentation „Alpinismus im Hitlerstaat“, die sich mit der NS-Geschichte kritisch auseinandersetzte.

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