Der große Vogel-Zensus

von Redaktion

INTERVIEW LBV-Expertin Sophia Engel ruft zur Mitmach-Aktion „Stunde der Wintervögel“ auf

München – Zwei Amseln, fünf Rotkehlchen und ein Buchfink: Um einen Überblick über den Bestand der Vogelwelt zu bekommen, ruft der Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) vom 5. bis 7. Januar wieder zur alljährlichen Vogelzählung. Im vergangenen Jahr haben in Bayern über 20 000 Menschen mitgemacht. Im Interview erklärt die Ornithologin und stellvertretende LBV-Geschäftsführerin Sophia Engel, warum die „Stunde der Wintervögel“ so wichtig ist – und worauf jeder achten muss, der sich auf die Lauer legt.

Warum ist die „Stunde der Wintervögel“ so wichtig?

Dahinter stehen zwei Gedanken. Zum einen wissen wir deutlich weniger über Wintervögel als über Brutvögel, da ihre geografischen Bewegungen die Forschung erschweren. Die Aktion soll uns helfen, mehr über die Vogelarten zu erfahren, die den Winter in Bayern verbringen, und wie sich dies lokal oder regional unterscheidet.

Und der zweite Gedanke?

Die Menschen sollen ermutigt werden, sich hinzusetzen und bewusst Natur und Vögel zu beobachten – ganz ohne Ablenkungen. Das dient nicht nur der Wissenschaft, sondern bereitet ihnen auch selbst Freude. Für viele ist das eine willkommene Abwechslung zum Alltag.

Welchen Trend erwarten Sie für dieses Jahr?

Die Zählaktion findet zum 19. Mal statt und es zeigt sich, dass sich unsere Winter stark verändert haben. Das ist dieses Jahr tatsächlich besonders spannend, weil die kalte Jahreszeit sehr mild und warm begonnen hat. Diese Bedingungen schienen für viele Vögel ideal zu sein, um in ihren Brutgebieten zu bleiben. Dann kam Anfang Dezember ein plötzlicher, heftiger Wintereinbruch. Die spannende Frage ist nun, ob die Vögel hoffen, dass der Winter wieder milder wird und sie die Kraft haben, ihn zu überstehen – oder ob vielleicht noch Zugvögel aus dem Norden eintreffen.

Welche Arten kommen hier am häufigsten vor?

In München dominiert die Kohlmeise, gefolgt von Amsel, Blaumeise und Buchfink.

Was gilt in der Stadt als Bedrohung – und was in ländlichen Gegenden?

Insgesamt wirkt sich der Klimawandel noch nicht stark auf die Vogelwelt aus. Aber er verändert das Verhalten der Vögel. Rückgänge sind bisher auf die zunehmende Versiegelung der Siedlungsräume zurückzuführen. Je dichter die Bebauung, desto weniger Nistplätze stehen zur Verfügung. Im ländlichen Raum ist es intensive Landwirtschaft.

Wie nimmt der Mensch in der Stadt die Natur wahr, im Gegensatz zum Menschen auf dem Land?

Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen im ländlichen Raum eine gewisse Selbstverständlichkeit für die Natur entwickelt haben und ihr vielleicht nicht mehr so viel Aufmerksamkeit schenken. In der Stadt empfinden es viele Menschen als ungewöhnlicher, wenn sie tatsächlich Vögel sehen. Also ist das Gefühl, etwas Besonderes wahrzunehmen, in der Stadt größer. Natürlich variieren Art und Anzahl der Vögel je nach Standort. In urbanen, stark bebauten Gebieten gibt es tendenziell weniger Vögel.

Welche Tipps zum Zählen haben Sie für Menschen, die in der Stadt leben?

Es geht ja darum, die tatsächlichen Beobachtungen wiederzugeben. Wenn ich in einer stark versiegelten Gegend wohne und in einer Stunde nur zwei Meisen sehe, dann spiegelt das die Realität wider. Aber es macht natürlich mehr Spaß, wenn man viele Vögel beobachten kann. Deshalb empfehle ich, sich ein grünes Plätzchen zu suchen, etwa kleine Parks.

Was sollte bei der Zählung beachtet werden?

Es geht nicht darum, Rekordzahlen zu generieren – sondern ein genaues Bild der Realität zu zeichnen. Daher ist es durchaus akzeptabel, auch in Siedlungsgebieten zu zählen, in denen vielleicht nicht so viele Vögel zu sehen sind. Außerdem sollte die Zählung genau eine Stunde dauern – dies trägt entscheidend zur Aussagekraft der Daten beiträgt. Wichtig ist auch das genaue Zählen. Oft erscheinen die gleichen Vögel mehrmals innerhalb einer Stunde am gleichen Ort. Wenn 15 Meisen gleichzeitig beobachtet werden, sollte die Zahl 15 notiert werden. Erscheinen jedoch dreimal fünf Meisen, so sollte nur die Zahl fünf notiert werden – unter der Annahme, dass es sich um die gleiche Gruppe handelt, die immer wieder kommt.

Was verraten die gesammelten Daten Vogel-Experten wie Ihnen?

Sie sind wie ein Fieberthermometer für den Naturschutz. Durch langfristige Beobachtung einzelner Arten können schleichende Verluste erkannt werden. Ein Beispiel ist der Grünfink. Sein Bestand hat über einen Zeitraum von 15 Jahren kontinuierlich abgenommen. Diese Rückgänge sind oft nicht drastisch, eher schleichend, können aber durch die Stunde der Wintervögel genau erfasst werden. Dann kann frühzeitig überlegt werden, wie dem entgegengewirkt werden kann.

Interview: Frederic Rist

Die Ergebnisse

der Zählung können dem LBV bis 15. Januar übermittelt werden. Unter www. stunde-der-wintervoegel.de gibt es auch Bilder der Vögel. Am 6. und 7. Januar können die Ergebnisse von 10 bis 18 Uhr auch telefonisch unter 0800/115 71 15 übermittelt werden.

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