Das lange Leid nach dem Missbrauch

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS

Traunstein – Andreas Perr sitzt zusammengesunken in der ersten Reihe im Sitzungsraum B 136 des Landgerichts Traunstein und verfolgt die Schilderung seines desolaten Lebenslaufs scheinbar regungslos. Der Kläger, der nach eigenen Angaben von Pfarrer Peter H. in Garching an der Alz als Grundschulkind sexuell missbraucht worden ist, hat seit dem zwölften Lebensjahr zunächst zu Alkohol und Nikotin gegriffen, später kam eine schier endlose Palette weiterer Drogen hinzu: Opiate, Opioide, starke Beruhigungsmittel, Ecstasy, Kokain, Cannabis bis zu Heroin.

Psychotherapeutin Ursula Münch, die Perr für das Bayerische Versorgungsamt im Rahmen eines Opferentschädigungsverfahrens 2011 begutachtet hatte, zeichnet eine erschütternde Drogenkarriere nach, in die der Bub und Jugendliche gestürzt ist. „Um sich zu betäuben und die Bilder vom Missbrauch aus dem Kopf zu bekommen“, trank er als 16-Jähriger bis zu eine Kiste Bier pro Tag oder eine Flasche Wodka, berichtet die Zeugin. Perr, so hatte zuvor ein Arzt der Inn-Salzach-Klinik Wasserburg berichtet, war mehrfach straffällig geworden und seit 2005 mehrere Male im Rahmen des Maßregelvollzugs behandelt worden. Ausführlich werden vor Gericht auch die schwierigen familiären Verhältnisse ausgebreitet – während die 68-jährige Mutter, die zuvor die Aussage verweigert hatte, hinten im Sitzungssaal Platz nimmt. Die Eltern hatten sich kurz nach der Geburt des Buben scheiden lassen. Die Mutter, eine Zahnarzthelferin, habe kaum Zeit für ihn gehabt. Meist habe sich die Oma um ihn gekümmert, die ihm viel mehr erlaubt habe.

Der Bub ist schon als Sechsjähriger verhaltensauffällig, muss einmal die Woche zu einer Pflegefamilie. Nach dem Missbrauch, der sich zwischen dem zehnten und zwölften Lebensjahr ereignet hatte, sei er schlechter in der Schule geworden. Er habe Mitschüler geschlagen, es kam auch zu Sachbeschädigungen. Perr beginnt eine Lehre als Metallbauer. Doch die er wegen Drogenmissbrauchs abbricht. Es folgen immer wieder Haftzeiten und Aufenthalte in Suchtkliniken.

Das Gericht muss nun entscheiden, ob für die schwere Drogensucht der sexuelle Missbrauch durch den Pfarrer ursächlich ist. Dazu muss ein weiteres Gutachten erstellt werden, das noch dieses Jahr vorliegen soll. „Der sexuelle Missbrauch ist unstreitig“, sagt die Richterin. Es gehe darum, wie er in seinem Leben durch die Tat beeinträchtigt worden sei, sagt sie an den Kläger gerichtet. Zeugin Münch, die Perr bereits 2011 begutachtet hatte, kam damals zum Ergebnis, „dass der Kläger eine Anlage für eine akzentuierte Persönlichkeit habe“. Auch die familiären Umstände könnten als Mitursache gewertet werden. „Als Ursache für eine Verschlechterung kann aber der Missbrauch gesehen werden.“ Sie bewertete den Anteil mit 40 Prozent.

Am späten Nachmittag wird Perr gehört. „Ich hatte immer ein Gefühl von Ekel. Ich wollte das Gefühl wegkriegen“, erklärt er seine Drogensucht. 2005 habe einen Selbstmordversuch unternommen, „weil mein Leben so beschissen war“. Das Erzbistum habe ihm, als er den Missbrauch angezeigt hatte, nicht geglaubt. Man habe ihm das Gefühl gegeben, selbst Schuld zu sein, weil er mit dem Pfarrer einen Pornofilm angesehen habe. Doch jetzt habe er eine Partnerin, er arbeite bei der Deutschen Bahn. „Und es gefällt mir da sehr gut.“ Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, ist noch unklar – auch, weil möglicherweise noch weitere Zeugen gehört werden sollten.

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