NATALIAS NEUANFANG

Ein neuer Lebensabschnitt

von Redaktion

Es ist schwer zu glauben, dass der russisch-ukrainische Krieg schon fast zwei Jahre andauert. Die ganze Zeit über lebe ich zwei parallele Leben gleichzeitig. Das eine hängt mit meiner Heimat zusammen – und ist voller Ängste. Allmählich wird mir klar, dass der Krieg Jahre oder sogar mein ganzes Leben dauern kann. Die Angriffswelle auf ukrainische Städte zum Jahreswechsel hat weder mich noch meine Eltern überrascht. Wir haben schon vor langer Zeit aufgehört, Feste zu lieben. Sie werden immer von schwereren Bombardierungen begleitet. Mein zweites Leben in Deutschland ist oft unvorhersehbar – aber sehr erfreulich. In den fast zwei Jahren, die ich in Bayern lebe, habe ich viermal meinen Wohnort gewechselt. Eineinhalb Jahre lang wohnte ich bei einem Ehepaar, das mich privat aufgenommen hat. Die beiden wurden schnell zu meinen zweiten deutschen Eltern. Vor einem Monat bin ich wieder umgezogen. Als ich mich von ihnen verabschiedete, waren wir alle ein bisschen traurig. Später haben sie mir auf WhatsApp geschrieben: „Hoffen wir, dass alles, was wir tun, zu einer besseren Welt beiträgt, auch wenn wir das Große nicht verändern können, so können wir immerhin im Kleinen etwas bewegen.“ Das war ein Gottesgeschenk, so freundliche und hilfsbereite Menschen kennenzulernen, die mein Leben mit so viel Herzenswärme gefüllt haben.

Nun beginnt ein neuer Abschnitt in meinem Leben. Ich bin zu meinem Freund nach Garching gezogen. Wir haben uns vor einem halben Jahr in München kennengelernt und sind sehr glücklich zusammen. Er wurde in der Ukraine geboren, lebt und arbeitet jedoch seit vielen Jahren in Deutschland. Obwohl meine Muttersprache Russisch ist, kommunizieren wir nur auf Ukrainisch, da er in einer ukrainischsprachigen Familie aufgewachsen ist. Paradoxerweise spreche ich jetzt in Deutschland viel mehr Ukrainisch als früher in der Ukraine. Ich muss auch zugeben, dass ich in der Ukraine noch nie so glücklich gelebt habe wie jetzt in Bayern. Ich bin voller Dankbarkeit gegenüber diesem Land und immer öfter denke ich mir: Heimat ist mehr ein Herz und nicht ein Ort.

Kürzlich habe ich den Besucherpark am Flughafen München entdeckt und war wie immer überrascht. Er wurde angelegt, nur damit Menschen die Aussicht auf die startenden und landenden Flugzeuge genießen können. Was für eine einfache und doch geniale Idee! Ich stand lange auf dem Hügel und beobachtete wie verzaubert die Flugzeuge. Ich wünschte, es gäbe mehr so schöne Orte und so glückliche Momente auf der ganzen Welt.

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