„Gelbwesten wird’s nicht geben“

von Redaktion

INTERVIEW Historiker und Landwirt Johann Kirchinger über Bauernproteste früher und heute

Mallersdorf-Pfaffenberg – Johann Kirchinger (47) aus dem niederbayerischen Mallersdorf-Pfaffenberg ist promovierter und habilitierter Historiker und hauptberuflicher Landwirt mit 120 Hektar Grund (Zuckerrüben, Weizen, Soja, Raps, Mais). Kirchinger hat den Bauernprotest im 20. Jahrhundert erforscht, schrieb unter anderem über die Bauernrebellen Franz Wieland und Georg Eisenberger, die in den 1920er-Jahren dem radikalen Bayerischen Bauernbund angehörten. Sein jüngstes Werk ist 680 Seiten stark – „Die Bauern, ihre Verbände und der Staat“ erschien in der ehrwürdigen Veröffentlichungsreihe der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Das Buch untersucht, wie einflussreich Bauernverbände sind. Angesichts der jüngsten Proteste ist Kirchinger aber auch persönlich Betroffener. Und so setzte er sich vor einer Woche auf seinen Steyr-Bulldog und fuhr zur Kundgebung nach Regensburg. Gut 100 Liter Diesel habe er dabei verfahren, schätzt er. Ein Gespräch über Bauernprotest einst und heute – und warum die Rebellion jetzt „ganz sicher nicht“ in eine Art Gelbwesten-Bewegung münden wird.

Herr Kirchinger, warum haben Sie demonstriert?

Ich finde die Dreifachbelastung der Landwirte ungerecht: Sie betrifft die allgemeine Energiepreissteigerung, sodann das zunächst geplante Ende der Kfz-Steuerbefreiung und die Streichung der Agrardieselsubvention. Andere Berufsgruppen haben weniger zu verkraften.

Wie war die Stimmung in Regensburg?

Es war eine Gaudi. Für uns Bauern war das ein arbeitsfreier Tag, mit Musik, Essen und Getränken, die die BayWa und Raiffeisen spendierten. Fast ein Feiertag. Es war friedlich, kein Rechtsradikalismus erkennbar.

Aber es ging bestimmt nicht nur um Agrardiesel. Viele Landwirte fordern das Ende der Ampel.

Ein Sturz der Ampel-Regierung wär den Bauern schon recht. Allerdings nur in einem systemkonformen Rahmen. Also sicher kein Umsturz. Die Bauern wünschen sich ein Ende der Ampel, über Neuwahlen vielleicht. In Regensburg war auch kein AfD-Abgeordneter als Redner da. Nur Freie Wähler und Schwarze. (Fährt auf Altbairisch fort) Und wei koa Greana do war zum Auspfeiffa, hamma den Schwarzen auspfiffa.

Warum den Schwarzen?

Weil die bei den Bauern nach den Grünen sicher die von der unbeliebtesten Partei sind.

Tatsächlich? Sie sind Freier Wähler – sind Sie da überhaupt neutral?

Stimmt. Ich bin Freier Wähler auf kommunaler Ebene als Gemeinderat in Mallersdorf. Aber ich bin nicht in der Aiwanger-Partei. Da muss man unterscheiden.

Wie sehen Sie denn die Auftritte von Aiwanger?

Aiwanger zieht seine Popularität aus seinem völligen Desinteresse, sich sprachlich urbanen Eliten anzupassen, wie man es ja weit bis in die CSU hinein tut. Das klingt authentisch und entspricht einem spezifisch bäuerlichen Verständnis von Politik.

Was heißt das?

Das bedeutet, dass man die Interessen unvermittelt artikuliert, ohne Parteien, Medien oder andere Zwischenglieder. Agrarpolitik von Bauern für Bauern, vom Dorf fürs Dorf – dieses kommunalistische Politikverständnis, wie ich es nennen würde, ist das politische Idealbild der Landwirtschaft seit dem Bauernbund.

Seit den 1920er-Jahren?

Früher schon. Die landwirtschaftlichen Protestbewegungen haben ihren Kern in den Kommunen gehabt, schon im Kaiserreich. Die Wittelsbacher Monarchie hatte schon seit den 1890er-Jahren bei den Bauern massiv an Ansehen verloren. Bauern stürzen aber in der Regel kein Verfassungssystem. Zentral im Denken ist die eigene Absicherung, der eigene Hof –nicht so was Abstraktes wie die Verfassung oder ein Regierungssystem. Der Erste Weltkrieg, auch die Kriegszielpolitik von Ludwig III. hat die Existenz der Höfe massiv infrage gestellt, nur daher hat sich für die Monarchie dann 1918 kein Finger gerührt. Das erklärt auch die Sympathie – besser: die Bereitschaft zur Mitarbeit – bei der Revolution etwa durch die Gebrüder Gandorfer aus Mallersdorf oder auch durch den christlichen Bauernverein von Georg Heim.

Und später?

Landwirtschaftlicher Protest schliff sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab. Die Leute verloren den Kontakt untereinander, etwa durch die Gebietsreformen. Die Kommunen als Orte der Kommunikation fielen aus.

Ist der jetzige Aufruhr der Landwirte historisch einzigartig?

Ja und nein. Es gab schon früher große Schlepper-Demos, etwa gegen die Preispolitik der EWG Ende der 1960er-Jahre. Der Unterschied ist: Jetzt sind die Proteste flächendeckend, damals waren sie auf einige wenige große Orte konzentriert. Durch die Sozialen Medien ist Kommunikation von einem zum anderen wieder möglich. Ich bin in einer Whatsapp-Gruppe mit Straubinger Bauern. Da kann jeder unvermittelt kommunizieren.

Was wird denn da so besprochen?

Es geht wild durcheinander. Meist über Agrardiesel. Auch mit der Aufforderung, ja keine Galgen mitzuführen – die Polizei habe informiert, dass dann eingeschritten werde. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es passieren kann, dass dann plötzlich einer über die Corona-Diktatur schwadroniert – den muss man dann ausbremsen.

Zurück zu Aiwanger. Ist er ein Rechter?

Er ist konservativ. Wenn man sich über die Massenmedien austauscht, braucht man einen Code, eine gefilterte Sprache. Aiwanger missachtet das, er reist in jedes Bierzelt, auf jede Bauernversammlung, zeigt ja Dauerpräsenz auf X und Whatsapp. Dieser direkte, unvermittelte und persönliche Kommunikationsstil ist etwas rabiater, brutaler, nicht so verfeinert.

Übertreibt der Bauernverband nicht, wenn er das ganze Land mobilisiert?

Dem Verband sitzt die Gruppe „Land schafft Verbindung“ im Nacken. Mich überrascht diese Hartnäckigkeit des Bauernverbands, das bin ich nicht gewöhnt. Ich bin aber nicht Mitglied. Viele Landwirte sind es nicht, der angegebene Organisationsgrad von etwa 90 Prozent ist meines Erachtens völlig übertrieben.

Ihre Einschätzung: Würden die Landwirte Ruhe geben, wenn die Kürzung beim Agrardiesel zurückgenommen wird?

Wer auf eine Gelbwesten-Bewegung hofft oder sie fürchtet: Die wird es ganz sicher aus der Landwirtschaft heraus nicht geben. Gewalttätig wird es auf breiter Fläche nicht – die Kosten sind zu hoch. Bäuerliche Proteste sind immer sehr fokussiert auf ein Thema. Man will den Agrardiesel wiederhaben, man will aber nicht die demokratische Grundordnung umstürzen. Man will die  Ampel weghaben, aber wenn’s nicht geht, dann halt nicht. Spätestens im März ist der Protest zu Ende, weil die Feldarbeit beginnt.

Interview: Dirk Walter

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