München – Ein Lufthansa-Flug in den Weihnachtsferien, von München nach Palma. Die Maschine ist ausgebucht, fast jeder Passagier steigt mit Handgepäck ein: Trolleys, große Taschen. Schnell sind die Gepäckfächer voll. Das Kabinenpersonal schichtet um, sucht nach Lücken, schwitzt, bittet die Fluggäste, Trolleys unter dem Vordersitz zu verstauen. Das dauert. Der Flieger startet verspätet.
Szenen wie diese erlebt Markus Bogner oft. „Das ist unser täglich Brot“, sagt Bogner, Anfang 30, Kabinenchef bei der Lufthansa. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. „Handgepäck“, sagt er „wird zu einem riesigen Problem.“ Vor allem bei seiner Airline. Er schätzt, dass auf Europa-Strecken wie München nach Mallorca, Barcelona, London etwa jedes zweite Flugzeug verspätet startet – weil zu viele Fluggäste zu viel Gepäck an Bord mitnehmen. Etwa die Hälfte halte sich nicht an die Vorgaben für Größe und Maximalgewicht. Bogner wird deutlich: „Das Grab haben wir uns selbst geschaufelt.“
Eine Ursache sei die Einführung des sogenannten Economy-Light-Tarifs der Lufthansa im Jahr 2015. Das bedeutet, dass damals alles außer dem Handgepäck und der Sitzplatzreservierung kostenpflichtig wurde. Ein aufgegebener Koffer kostet in dem günstigsten Tarif mindestens 30 Euro zusätzlich. Das wollen sich viele sparen. Hintergrund ist das, was Bogner „Preiskrieg am Himmel“ nennt: Viele Reisenden suchen im Internet nach Flügen. Je günstiger der Basis-Tarif ist, desto konkurrenzfähiger sind hochpreisigere Airlines wie Lufthansa im Vergleich mit Billiganbietern. Erst beim Buchungsvorgang kommen weitere Kosten für Gepäck hinzu. „Gedacht war der Light-Tarif für den kurzen Citytrip“, sagt Bogner. Doch das Preissystem habe einen Effekt auch auf Kunden, die länger verreisen und sich denken – „eine große Tasche als Handgepäck, Rucksack und Handtasche, das geht schon irgendwie“.
Viele Airlines, besonders die Billigflieger, sind rigoros gegenüber Kunden mit zu viel Gepäck an Bord. „Wenn das nicht passt, muss das Gepäck nachträglich aufgegeben werden“, sagt Bogner. Oft kostenpflichtig. Die Lufthansa als Airline mit hohem Service-Anspruch an sich selbst verzichte darauf meistens, sagt der Kabinenchef. Auch er und seine Crew sprechen Fluggäste aktiv an und bieten an, das Handgepäck nachträglich im Frachtraum zu verstauen.
Ist ein Flug (nahezu) ausgebucht, verschickt die Lufthansa zudem eine E-Mail, in der sie darauf hinweist, dass der Platz in der Kabine begrenzt ist – man soll sein Handgepäck bitte einchecken. Kostenlos. Viele Fluggäste ignorieren auch das – und wenn sie es dennoch machen, dauert es noch länger. „Die Handgepäckstücke müssen dann aufwendig von Hand gelabelt werden, damit sie am Zielflughafen den Besitzern zugeordnet werden“, sagt Marc Zangl, stellvertretender Betriebsrats-Chef am Flughafen. Das verursache weitere Verspätungen, aber auch eine Zusatzbelastung fürs Ladepersonal.
Einen großen Einfluss auf die Entwicklung haben auch die Pannen bei der Gepäckabfertigung am Flughafen München, sagt der Lufthansa-Mitarbeiter. Das Kofferchaos verunsichert viele Fluggäste. Dann lieber doch nur mit Handgepäck verreisen.
Die Unabhängige Flugbegleiter Organisation e. V. (UFO), die Gewerkschaft für das Kabinenpersonal, weist darauf hin, dass das Verstauen des Handgepäcks nicht zum Berufsbild von Flugbegleitern gehöre. „Bei einem Unfall, der mit dem Beladen der Gepäckfächer durch Kabinenpersonal zu tun hat, würde die Berufsgenossenschaft eine Zahlung verweigern“, sagt UFO-Vorständin für Berufspolitik, Gisela-Annette Beeck Acosta.
Auf Anfrage unserer Zeitung bestätigt die Lufthansa: „Auch wenn eine Reise nur wenige Nächte dauert, wird anstelle eines Koffers häufig nur Handgepäck mitgeführt.“ Kommen noch Jacken und Mäntel hinzu, bleibe sehr wenig Platz in den Gepäckfächern. Es dürfen, so die Sprecherin, nur Handgepäckstücke in der Kabine mitgenommen werden, die die Größe 55 x 40 x 23 cm nicht überschreiten. So weit die offiziellen Vorgaben – die offenbar nicht immer greifen.
Kabinenchef Markus Bogner hofft auf eine andere Lösung: Ab Frühjahr 2025 stattet die Lufthansa 38 A320-Maschinen der bestehenden Flotte mit neuen Kabinen aus. Die großen Gepäckfächer fassen bis zu doppelt so viele Handgepäckstücke.