St. Ottilien – Direktor Andreas Walch hat an seiner Schule in St. Ottilien 700 Schüler. Bei 170 ist es ungewiss, ob sie die nächsten Tage zum Unterricht am Rhabanus-Maurus-Gymnasium im Kreis Landsberg erscheinen. Denn sie sind auf die Bahn angewiesen – und die wird ab Mittwoch bestreikt. Walch kennt die Zahl so genau, weil er schon wieder abwägen muss, wie er den Schulalltag organisiert. Streik im November, Dezember, dann Schneechaos, Streik im Januar, jetzt wieder Streik: „Ein normaler Schulbetrieb ist schwer durchzuziehen“, sagt er. „Wir haben keinerlei Verständnis.“
In St. Ottilien findet ab morgen eine Mischung aus Präsenz- und Online-Unterricht statt – Schüler, die es nicht in die Schule schaffen, werden per Video ins Klassenzimmer geschaltet. Problematisch ist laut Walch der Zeitpunkt: „Wir sind mitten in der Prüfungsphase vor dem Zwischenzeugnis.“ An den vier Schultagen, die der Streik betrifft, schreiben seine Schüler 23 Schulaufgaben. Zum Teil ist das noch Ballast aus dem Streik Anfang Januar. Und der wächst: „Wir gehen davon aus, dass keine Klasse vollständig sein wird.“ Er hofft, dass möglichst viele Eltern „Taxi spielen können“.
Martina Ernst (49) aus Weilheim ist so eine Taxi-Mutter. Ihre Tochter geht in St. Ottilien in die 11. Klasse, normalerweise fährt die 17-Jährige mit dem Zug. Wenn Martina Ernst ihre Tochter mit dem Auto bringen muss, kann sie erst eine Stunde später mit einem ihrer zwei Jobs anfangen – sie arbeitet in einem Handwerksbetrieb und in einer Steuerkanzlei. Ihre Mittagspause opfert sie zum Abholen und schafft es trotzdem nicht pünktlich zurück ins Büro. Und wenn die Tochter Nachmittagsunterricht hat, muss sie zwischendurch gut eineinhalb Stunden hin und zurück fahren. „Zum Glück habe ich tolle Chefs und einen Homeoffice-Platz, an dem ich abends nacharbeiten kann“, sagt die Weilheimerin. „Aber es nervt, man sitzt auf Kohlen.“ Sie hofft, dass der Zug ihrer Tochter die nächsten Tage fährt – die Chancen stehen nicht schlecht, weil die Bayerische Regiobahn die Strecke bedient. Die wird nicht bestreikt, Züge könnten allerdings ausfallen, wenn Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn im Streckennetz der BRB eingesetzt werden. „Planen kann ich so natürlich schlecht“, sagt Ernst.
Das gilt auch für die Bahn-fahrenden Lehrer. Nicole Storz, Schulleiterin am Gymnasium Grafing im Kreis Ebersberg, hat viele Kollegen aus München. „Für die ist es echt anstrengend“, sagt Storz. Die Direktorin hofft, dass es möglichst viele nach Grafing schaffen – denn der Unterricht für die 935 Schüler wird normal stattfinden, auch wenn einige Plätze im Klassenzimmer leer bleiben werden. „Wir können nicht zusätzlich Online-Unterricht anbieten“, sagt sie. „Das schaffen wir nicht.“ Schulaufgaben werden geschrieben – „unsere Zehnten haben derzeit zwei Schulaufgaben in der Woche, da können wir nichts aufschieben“. Wer nicht da ist, schreibt nach.
Ruft das vielleicht auch Schwänzer auf den Plan? Walter Zellmeier, Direktor am Viscardi-Gymnasium in Fürstenfeldbruck, denkt das nicht. Seiner Erfahrung nach wollen die Schüler in der Regel in die Schule gehen – und haben keine Lust auf Nachschreiben. Er glaubt, dass der Streik den Unterricht nicht arg stören wird: „Es sind derzeit ja auch einige krank, dann kommen noch ein, zwei wegen der S-Bahn dazu – das gehört zum Geschäft.“
In St. Ottilien wappnet man sich schon mal für weitere Bahn-Ausfälle. Die Schule hat eine App gekauft, die innerhalb der Schulfamilie Mitfahrgelegenheiten vermittelt. Die dreistelligen Anschaffungskosten übernimmt der Träger (Diözese Augsburg). Direktor Walch rechnet damit, dass sie in einigen Wochen in Betrieb geht. Hoffentlich rechtzeitig vor dem nächsten Streik. caz